Wenn der Astronaut Alexander Gerst davon spricht, wie besonders es ist, dass wir Menschen in der Dunkelheit des Kosmos auf diesem blauen Planeten leben dürfen, dann denken wir vielleicht nicht gleich daran, dass dieser Planet blau ist, weil er zu zwei Dritteln von Wasser bedeckt ist. Noch weniger denken wir vermutlich daran, welche Auswirkungen Überfischung, Umweltverschmutzung und die Zerstörung der Tiefsee durch Bohrinseln auf uns Menschen haben werden.
Die Meeresforscherin Sylvia Earle (geb. 1935) nennt die Meere «das blaue Herz des Planeten». Sie sind aber auch die Lunge der Erde, sie bestimmen die Wetterabläufe und sind Lebensraum für unzählige Geschöpfe.
In einer berührenden Bildbiografie stellt uns Claire A. Nivola das Leben dieser Frau vor – gewidmet der Erforschung der Tiefsee und der Verbreitung ihres Wissens, um die Meere zu schützen.
Die kleine Sylvia interessiert sich bereits für die Natur um sie herum, sammelt und beschreibt, was sie sieht und entdeckt. Sie ist zwölf, als die Familie von ihrem Bauernhof in New Jersey an den Golf von Mexico zieht. Das blaugrüne Meer vor ihrer Haustür tröstet über den Abschiedsschmerz und fasziniert sie sofort. Sylvia setzt ihre Naturerkundungen voller Begeisterung im Wasser fort. Die Unterwasserwelt hat sie gepackt.
Das Bilderbuch ermöglicht mit seinen zarten, farbenfrohen Aquarellen Einblicke in Sylvias Erlebnisse unter Wasser: Sie begegnet einer Herde Buckelwale – keine plumpen Riesen, sondern elegante, wendige und feinsinnige Wesen, die ihr neugierig ins Gesicht sehen. Sylvia lebt zwei Wochen in einer Tiefseestation und schwimmt täglich bis zu zwölf Stunden im Korallenriff umher. Eine Zeit, die sie als Mensch verändert, wie sie sagt: Sie entdeckt, dass auch Fische ein Zuhause und Nahrung brauchen, dass jedes Wesen unter Wasser seinen eigenen Charakter hat – wie wir Menschen. Sie und wir folgen den gleichen Gesetzen des Lebens. Neun Jahre später, 1979, spaziert sie im Panzertauchanzug als erster Mensch 400 Meter tief auf dem Meeresboden. Doch sie trifft nicht auf Schwärze, wie erwartet, sondern auf eine indigoblaue Welt, erfüllt von selbstleuchtenden Lebewesen – wie eine Galaxie voller Sterne.
Claire A. Nivola hat starke Bilder aus diesen Erinnerungen gemacht. Die meist doppelseitigen Illustrationen werden von einer ruhigen Atmosphäre getragen. Details präzisieren das Thema und verleihen den Aquarellen Anmut und Lebendigkeit. Das Leben unter Wasser fängt sie mit herzzerreißender Schönheit ein; umso eindringlicher ist die Botschaft über die Bedeutung des Meeres für das menschliche Leben.
Als Meerespionierin hat Sylvia Earle in mehrerer Hinsicht Meilensteine gesetzt: sie hat als Wissenschaftlerin Großes geleistet, hat als Unternehmerin die Entwicklung von Ausrüstungssystemen vorangetrieben, die die Forschung in großen Tiefen erst ermöglichte. Sie hat früh über die Zerstörung der Meere (und damit unserer Lebensgrundlage) Vorträge gehalten und Filme gedreht, ist eine Umweltaktivistin der ersten Stunde. Und sie hat sich als Frau in einer Männerdomäne durchgesetzt und anderen Frauen den Weg in diesen Forschungsbereich geebnet. Ihre entschlossene und unerschrockene Art ist ein ermutigendes Signal an junge Leser.
Das blaue Herz des Planeten von Claire A. Nivola ist ein Glücksfall von einem Bilderbuch für Kinder und Erwachsene.