Obwohl ich wohl nirgends so viel Zeit verbringe wie am Schreibtisch, habe ich zu ihm als Gegenstand ein eher pragmatisches Verhältnis. Vielleicht, weil ich nach dem Elternhaus oft umgezogen bin und meinen Schreibtisch wie ein geistiges Zelt stets neu aufschlagen musste. Manchmal wie einen Altar unter freiem Himmel. Oder wie ein Feldlager in den Schlachten des Lebens. Schriftsteller gelten schnell als zurückgezogen, dabei mögen sie bloß Cliquen und Erwartungen nicht. Als Kind bewegte ich mich viel mit Freunden in der Natur, ich konnte pausenlos Ballspielen, immer laufen. Die Freude an der Bewegung metamorphosierte sich später in die Freude an geistiger Bewegung.
Mein erster Schreibtisch stand in dem Winzerdorf Oberdiebach am Mittelrhein. Wir hatten wenig Geld: Er war eher schlicht und hässlich, doch ich liebte ihn. Hier tippte ich die Gedichte aus dem Mathe-Unterricht ins Reine. In Zivildienst und Studium benutzte ich die Schreibtische, die Vermieter einem hinstellten. Dann taten es zwei Böcke und eine Platte, die mal eine Tür gewesen war, einmal ein Eichenschreibtisch vom Trödler, dessen Geheimfächer und Schubladen ich aber kaum benutzte. Wenn ich weiterzog, ließ ich die Dinge in den Zimmern zurück, weil ich dachte, hier gehörten sie nun hin. In der Zeit als Pfarrer gesellte sich zu Bock und Platte ein Schreibtisch, den mir ein lieber Mensch schenkte, dessen Partner gestorben war. Seitdem arbeite ich an zwei wie bei einem L rechtswinklig gelegenen Tischen (meist an verschiedenen Texten), die sich innerlich ergänzen.
Ich kann meinen Schreibtisch überall aufschlagen: ich schreibe, wenn ich spazieren gehe, Rad fahre, mit der Katze spiele. Man braucht Zeit fürs Schreiben – man schafft Zeit durchs Schreiben. Übrigens setzt ein konkreter Auftrag mehr Energien frei als das Warten auf Einfälle. Mich inspiriert eher Ordnung statt Chaos. Ich kenne auch den anlasslosen Schreibtrieb, eine Abenteuerlust ohne Ziel. Ich habe oft so gelebt: nicht nach einem festen Konzept. Ich glaube, man hat heute nicht nur eine, sondern mehrere «Aufgaben» in seinem Leben. So viele Beweg-Gründe. Viele wünschen Eltern zu werden und fühlen aber genauso die innere Pflicht, etwas aus den eigenen Talenten zu machen und unabhängig zu sein.
Das Leben führt uns und wir unser Leben: dahin, wo es uns hinführen soll. Der Stift in der Hand leitet mich und zugleich ich ihn.
Einst werden wir gar keine Schreibtische oder Altäre mehr brauchen und erst recht keine Schlachtfelder. Wir werden Bewegte und Bewegende sein in Einem.
Alle Bücher sind an verschiedenen Fenstern entstanden. Ich schreibe in der Frühe; es braucht die Anknüpfung an die Nacht und die Klarheit des Morgens (und Espresso). Computer nutze ich pragmatisch und minimal, es hält mich dort nichts, Geist ist immer online. An Sätzen zu arbeiten ist wie Weinreben beschneiden, das Behauen eines Steins. Schreiben ist Weglassen, jeder Autor auch Lektor. Oft und gern redigiere ich auch Versuche anderer, weil es darum geht, etwas zur Erscheinung zu bringen, was nicht man selber, sondern der Text will.
Frühling 2011 – das Jahr, in dem ich 42 werde, ist noch jung – erscheinen zwei neue Bücher von mir.* In dem einen geht es um das karmische Motiv der Lebensaufgabe, im anderen um die Kunst, sich nicht aufzugeben, also vielleicht um dasselbe. Für meine Sachen zu werben ist mir eigentlich fremd – es ist nicht mein Job. Wird ein Buch ausgeliefert, bin auch ich ausgeliefert. Doch wenn ein Skript angenommen wurde, vertraue ich, dass es einen Sinn hat oder ein Geheimnis, von dem ich selbst gar nichts wissen muss. Viele Werke blieben nach dem Tod ihrer Schöpfer in geheimen Schubladen, weil sie nicht die Leser fanden (oder suchten), die sie gebraucht hätten. Der Mitmensch tauft erst den Text. Natürlich kommt es auch vor, dass man Jahre an etwas gearbeitet hat, und es wird nicht gedruckt. Aber das ist wie bei Briefen, die man an jemanden schreibt und vielleicht nie abschickt – etwas davon kommt schon an. Ein Schreibtisch ist ein innerer Ort, wo man sich wendet an jemanden, der zuhört, wenn alle schweigen.