Vor fünfzig Jahren, am 18. September 1961, starb der schwedische UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, geboren 1905, im Grenzgebiet zwischen dem Kongo und Sambia. Auf dem Weg zu politischen Verhandlungen wurde sein Flugzeug unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen abgeschossen.
Bald nach Hammarskjölds Tod fand man in seiner New Yorker Wohnung ein Manuskript. Dabei lag ein Brief an einen schwedischen Freund, den Hammarskjöld bat, sich seiner Tagebuchseiten anzunehmen: «Wenn du findest, dass sie verdienen, gedruckt zu werden, so gib sie heraus.»
Schon als Zwanzigjähriger hatte er daran zu schreiben begonnen, und auch in den acht Jahren seiner Amtszeit als Generalsekretär der Vereinten Nationen war es ihm immer wieder wichtig, sich zurückzuziehen und an seinen «Verhandlungen mit mir selbst – und mit Gott» zu schreiben, wie er selbst sich ausdrückte. – Wie kein Zweiter betrachtete Hammarskjöld die Uno als eine Institution, die die kleineren Staaten gegen die Interessen der politischen Weltmächte zu schützen habe, was ihm nicht selten den Groll der sogenannten Großen einbrachte. Was veranlasste diese außergewöhnliche Persönlichkeit dazu, sich mit den Mächtigen der Welt anzulegen?
Glücklicherweise fand Hammarskjölds Freund durchaus, dass man das hinterlassene Manuskript drucken sollte. Hätte er sich nicht darum gekümmert, wäre das 20. Jahrhundert um eines der beeindruckendsten literarischen Werke ärmer. Denn was der Staatsmann und Weltbürger Dag Hammarskjöld, der sich sein Leben lang intensiv mit Literatur, Philosophie, Theologie und bildender Kunst auseinandersetzte, in seinen Zeichen am Weg hinterließ, ist alles andere als lediglich ein politisches Tagebuch. Sein Vermächtnis gewährt tiefe Einblicke in das lebenslange Ringen dieses Menschen um eine individuelle Haltung, deren oberstes Gebot darin bestand, niemals gegen das eigene Gewissen zu handeln.
Neben der Kunst galt Hammarskjölds Interesse der Natur. «Es wird gesagt, ich sei am Bergsteigen interessiert. Das stimmt. Die Fähigkeiten, die man dafür benötigt, sind exakt die, von denen ich glaube, dass wir alle sie heute brauchen … Der sicherste Bergsteiger ist der, der nie an seiner Fähigkeit zweifelt, jedes auftretende Hindernis überwinden zu können.»
Diese Sicherheit, an eine Lösung für jedes denkbare Problem zu glauben, machte Hammarskjöld zu dem selbstbewussten Menschen, der er sein musste, um das Amt des Generalsekretärs bekleiden zu können. Im Jahr seiner Ernennung schrieb er in sein Tagebuch: «Wenn ich fortfahren darf: fester, einfacher – schweigsamer, wärmer.»
Nachdem es ihm 1954 in einer diplomatischen Meisterleistung gelungen war, amerikanische Kriegsgefangene aus China zu befreien, wuchs weltweit der Respekt. «Entweder verurteilt man oder man verhandelt, beides gleichzeitig geht nicht», lautete seine Devise.
In allem, was er tat, gab es für Dag Hammarskjöld immer nur den Weg bis an die Grenzen des Möglichen. Doch trotz aller Beachtung, die man ihm beispielsweise für die Einführung der internationalen Friedenstruppe, auch bekannt als Blauhelme, entgegenbrachte, gab es für ihn nie den Moment, in dem er sich zufrieden zurücklehnte. «Weiter! Welche Entfernung ich auch zurückgelegt, sie gibt mir nicht das Recht, innezuhalten.»
Und zwei Jahre vor seinem Tod schrieb er: «Für den Einfachen ist das Leben einfach, aber es öffnet ein Buch, in welchem wir nie über die ersten Buchstaben hinauskommen.»
Hammarskjölds Zeichen am Weg dagegen sollte man von der ersten bis zur letzten Zeile lesen.
Von Michael Stehle