Kunst betrifft nicht nur mein Verhältnis zur Welt, also dazu, wie ich diese Welt erlebe und verstehe. Bei der Kunst geht es letztlich darum, in die Welt einzugreifen und sie zu verändern.
«Ich bin in einem anthroposophischen Elternhaus aufgewachsen und wurde 1954 in die erste Waldorfschule Norwegens geschickt. Es war eine glückliche Zeit. Aber trotzdem verstand ich nichts von der Anthroposophie, und als Jugendlicher wurde ich ihr gegenüber wirklich skeptisch. Ich fand, dass sie befremdlich und voller Aberglauben sei. Außer Wollunterwäsche und Kamillentee konnte ich nichts Handfestes mit ihr verbinden. Nach zwölfjähriger Schulzeit arbeitete ich auf einem Kreuzfahrtschiff und fuhr damit ein Jahr lang um die Erde. Dabei ging mir bald auf, dass die Welt ungerecht war. Ich kam aus einem der reichsten Länder – das auch eins der behütetsten war. Auf wirkliche Armut war ich nicht vorbereitet, und ich hatte mir auch nicht vorstellen können, dass sie so verbreitet war: Indien, Senegal, Venezuela. Damals wollte ich Ingenieur werden, um die Leitung eines kleinen Familienbetriebs zu übernehmen, aber als ich nach der Reise an einem Sommertreffen am Rudolf-Steiner-Seminar in Schweden teilnahm, änderte ich meinen Entschluss. Ich begegnete nämlich Arne Klingborg und Jørgen Smit, die eine andere Anthroposophie vertraten, als ich in meiner Kindheit kennengelernt hatte. Den beiden ging es darum, mit Hilfe der Anthroposophie die Welt zu verändern. Nicht nur die innere, sondern auch die äußere. Dort in Järna sah ich zum ersten Mal biologische Teiche zur Reinigung einer Kloake, aber ich verstand nun auch, dass ein Engel nicht völlig aus der Luft geholt zu sein brauchte. Das machte einen tiefen Eindruck auf mich, da ich ahnte, dass es zwischen den Engeln, der Kloake und der Ungerechtigkeit in der Welt einen Zusammenhang gab. Von diesem Zeitpunkt an habe ich mich für Anthroposophie interessiert. Die erste Wirkung trat unmittelbar ein, denn bereits dort, an diesen warmen Sommertagen in Järna, entschied ich mich, Architekt zu werden. Ich meinte, dass dieser Beruf gerade meiner Lebenssituation besser entsprach. Ein Ingenieur beschäftigte sich ja nur damit, Zahlen und gegebene Größen zu wiederholen. Wenn man die Welt verändern wollte, musste man mindestens Architekt sein. Dachte ich. Ich war ja neunzehn Jahre alt.
Die architektonische Strömung, die Steiner ins Leben rief, hat innerhalb eines knappen Jahrhunderts den Bau von Schulen, Kliniken und Privathäusern in mehr als vierzig Ländern inspiriert. Zehntausende von Menschen haben durch freiwilliges Engagement dazu beigetragen, diese Kunstrichtung zu verwirklichen, indem sie handwerkliche Fertigkeiten, freiwillige Arbeitseinsätze oder Spenden zur Verfügung stellten. Ich kenne keine Interessengruppe, die in moderner Zeit mehr Energie und Erfindungsreichtum aufgebracht hat, um ein Architekturideal zu verwirklichen – zudem aus rein gemeinnützigen, kulturellen Motiven.
Den Ausgangspunkt dafür bilden vor allem die etwa zwanzig Gebäude, die Steiner entworfen hat, aber auch seine Betrachtungen zur Kunst, die einen beträchtlichen Teil seiner gesammelten Werke ausmachen. Hinter allem steht selbstverständlich der Rest seines Gesamtwerks, seine philosophische Grundanschauung: die Anthroposophie.»