Jahre, von seinem dreißigsten bis zu seinem siebenunddreißigsten Lebensjahr, war Jens Bjørneboe Lehrer an der Rudolf Steiner-Schule in Oslo. Diese Zeit erschien ihm später als die schönste seines Lebens. Noch 1973, drei Jahre vor seinem Tode, schrieb er: «Dies ist übrigens ein immer wiederkehrender Traum: dass ich erneut Lehrer geworden bin und in der Schule mit einer ersten Klasse beginne. Der Traum macht mich jedes Mal sehr glücklich.»
Ein echtes Kind dieser Waldorflehrerzeit ist der Roman Jonas. Er zeigt, zu welch liebevollem Einfühlungsvermögen in die Kindesseele Bjørneboe fähig war. Man kann das Buch durchaus lesen als psychologischen Roman von dem kleinen Träumer Jonas, der, zunächst preisgegeben dem Unverständnis seiner Lehrer und der Grausamkeit seiner Mitschüler, wodurch seine normale Entwicklung in Frage gestellt ist, schließlich doch noch eine Schule findet, auf der er lernen und sich geborgen fühlen kann.
Jens Bjørneboe wurde am 9. Oktober 1920 in gutbürgerlichen Verhältnissen als Sohn eines Konsuls in Kristiansand in Norwegen geboren. In der Schule war er sehr aufsässig, der Widerstand gegen jegliche Art von Autorität war der Keim für seinen lebenslangen erbitterten Kampf gegen die Ungerechtigkeiten im staatlichen «Rechtsleben». Schon als Schüler hatte er Probleme mit dem Alkohol. Mit dreizehn Jahren unternahm er seinen ersten Selbstmordversuch. Später erkannte er, dass er damals schon an der Krankheit litt, die ihn als Fünfundfünfzigjährigen wirklich in den Tod (am 9. Mai 1976) trieb: einer endogenen Depression. Er war hervorragend begabt, wurde aber von mehreren Schulen verwiesen. Schließlich machte er doch das Abitur. Es war im Frühjahr 1940. Im Sommer davor war er auf einer Ferienreise mit seiner Mutter in Deutschland mitten in den Ausbruch des Krieges und die Mobilmachung geraten. Am 9. April 1940 wurde Norwegen von den Deutschen besetzt. Der König Håkon VII. ging ins Exil nach London. Von 1942 an gab es eine mit Deutschland kollaborierende Regierung und auch eine norwegische nationalsozialistische Arbeiterpartei.
Bjørneboe studierte Malerei in Oslo. Als er 1943 von den Deutschen zum Arbeitsdienst eingezogen werden sollte, floh er nach Schweden. In Stockholm setzte er sein Studium fort. Hier lernte er die Anthroposophie kennen, die sein Leben und Denken bleibend beeinflusste, auch wenn er sich später wieder von ihr abwandte. Die Idee der Freiheit, wie Rudolf Steiner sie in seiner Philosophie der Freiheit entwickelt hat, und der Gedanke der wiederholten Erdenleben behielten für ihn immer Gültigkeit. Auch der Christengemeinschaft, der von Friedrich Rittelmeyer mit Rudolf Steiners Hilfe begründeten Bewegung für religiöse Erneuerung, schloss er sich an. In diesen Kreisen traf er seine erste Frau, eine deutsche Jüdin. Ihr verdankte er den Zugang zum deutschen Kulturkreis. Er las Rilke, Novalis, Hölderlin, Schiller, C. F. Meyer und viele andere deutschsprachige Dichter, auch die religiösen Mystiker.
Andererseits fühlte er sich stark alarmiert durch das, was an gegenwärtigen Nachrichten aus diesem «Kulturkreis» zu ihm drang.
Das war mehr als das, was in den Zeitungen stand. Durch seine zukünftige Frau begegneten ihm viele jüdische Emigranten. Während er weiterhin Landschaften und Stillleben malte, stauten sich diese Informationen in seinem Inneren bis zu Unerträglichkeit an. Immer weniger erschien ihm die Leinwand als das geeignete Ausdrucksmittel für das, was innerlich in ihm in Bewegung gesetzt wurde. Zwar malte er zunächst auch weiter, als er nach dem Kriege nach Oslo zurückkehrte, entschloss sich aber bald danach (1947) zu dem für ihn entscheidenden Schritt vom Malen zum Schreiben. Hier wird deutlich, dass der Impuls, der hinter seiner künstlerischen Tätigkeit stand, stark vom Inhaltlichen bestimmt war. Er hatte eine Botschaft, die er vermitteln wollte. Die Dichtung hatte für ihn ihren Sinn in der Auseinandersetzung mit den Problemen der Zeit: «Die Dichtung ist unmittelbare Wirklichkeit. Durch sie gelangst du zur Klarheit über die Zeit, in der du lebst, zur Klarheit über ihre Probleme. Durch die Dichtung nimmst du die Wirklichkeit ganz in dich auf und lebst in ihr. Die Dichtung ist keine Flucht. Nicht für mich.»
von Almut Bockemühl