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Alan Garner

Nr 163 | Juli 2013

Zwei Weisheiten meines Großvaters

Ich verbrachte meine Kindheit in einer bäuerlichen Familie am Alderley Edge, einem Hügel, der sich aus der Cheshire-Ebene erhebt. Meine Familie gehörte der Arbeiterklasse an. Mein Großvater konnte zwar lesen, tat es aber nicht und war somit so gut wie ungebildet. Doch in der Familie waren die letzten Spuren einer Erzähltradition lebendig, und dies war die Geschichte von dem «im Hügel schlafenden König», der von Merlin bewacht wird. Diese Geschichte ist so tief in mir verwurzelt, dass ich nicht sagen könnte, wann ich sie zum ersten Mal gehört habe. Es scheint mir, als habe ich sie immer gekannt, und sie verkörpert alles, was diesen Teil meines Bewusstseins ausmacht – das Arbeiter- und Bauern­leben meiner Vorfahren.
Dieses – typisch britische – Phänomen ist auch heute noch ein Problem: die Schwierigkeiten der ersten Generation, die eine Schulbildung genossen hat. Was mir widerfahren ist und was nach wie vor anderen Kindern passiert, ist, dass ich von unserem Bildungssystem ausgewählt und für wert befunden wurde, eine Ausbildung zu bekommen. Das Ergebnis war, dass man mich meines kulturellen Umfeldes beraubt und mir gleichzeitig den Preis für diese Entwurzelung klar gemacht hat: Ungeheure innere Spannungen und Konflikte waren die Folge. Und während ich lernte, formal, analytisch, rational und akademisch zu denken, wurde mir bewusst, was ich verlor. Meine Familie kam nicht mehr mit mir zurecht und ich nicht mehr mit ihr. Vom emotionalen Standpunkt aus gesehen, repräsentiert «meine» Legende, die Alderley Edge-Bücher, alles, was jemals verloren ging. Daher nahm sie einen wehmütigen und schmerzlichen Ton an. Ich wurde auf den Weg geschickt, um eine akademische Laufbahn anzustreben, genau in dem Moment, in dem der Schriftsteller, der seit meiner Geburt in mir steckte, sich zu entfalten, zu erwachen, um sich zu treten und laut «nein» zu sagen begann, weil es andere Dinge gab, die ich hätte tun müssen, die einzig zu meiner Person gehörten. Das habe ich von meinem Großvater. Er war ein Handwerker und er gab mir zwei Weisheiten auf den Weg, die ich als Schriftsteller niemals ignorieren kann. Die eine lautet: Lass dir für deine Arbeit so lange Zeit, wie die Arbeit dir sagt, dass es dauern muss. Die Arbeit ist nämlich auch da, wenn du es nicht bist, und du willst doch nicht, dass die Leute fragen, was für ein Idiot da am Werk war, oder? Daher bin ich ein sehr langsamer Arbeiter. Der andere Ratschlag besagt: Wenn ein anderer die Arbeit machen kann, soll er es tun. Mit anderen Worten: Mach nur das, was einzig in dir liegt, was einzigartig an dir ist. Dieses Wissen hat sich im Laufe der Zeit in meinem Unterbewusstsein entwickelt, bis ich mich schließlich von meiner Karriere als Akademiker verabschiedet habe.
Als ich mich dem Schreiben zuwandte, habe ich mich auch wieder dem Teil meines Ichs zugewandt, der spirituell, mystisch und emotional ist, und dort fand ich die Sage von König Artus, der unter dem Hügel schläft. Diese Geschichte steht für all das, was ich aufgeben musste, um zu begreifen, was ich tatsächlich aufgeben musste. Und so liegt die Stärke meiner beiden ersten Bücher in der Beschreibung der Landschaft und in dem Element der Imagination. Meine Bildung ermöglichte es mir, die Landschaft auf eine Art und Weise zu begreifen, wie es meiner Familie nie gelang. Ich habe aber den Artus-Mythos niemals bewusst für meine Bücher benutzt. Das kam völlig instinktiv.


Aus einem Interview mit Raymond H. Thompson, übersetzt von Alexandra Ernst:
«Alan Garner Persönlich. Freies Geistesleben Extra / 5»

Foto: Alan Garner / Eamonn Mccabe for the Guardian