Es ist noch gar nicht so lange her, da sah mein Leben völlig anders aus als heute. Damals arbeitete ich als psychologische Beraterin für aus Kuba und anderen Ländern stammende Migranten, die sich nur schwer an das Leben in den USA gewöhnen konnten. Da ich als junges Mädchen diesen Schritt selbst gegangen bin, kannte ich viele der geschilderten Probleme und konnte meinen Gesprächspartnern nicht zuletzt aufgrund meiner eigenen Erfahrungen helfen. Wenn ich darauf angesprochen werde, wie man den Beruf einer Psychologin gegen den einer Romanautorin tauschen kann, erkläre ich immer, dass der Schritt gar nicht so groß ist. In beiden Fällen habe ich es mit Geschichten zu tun, und der Vorgang, die zum Teil atemberaubenden Schicksale, von denen mir erzählt wurde, in Fiktion umzuwandeln und in meine Romane zu integrieren, bedeutet für mich selbst so etwas wie eine Therapie. In Mofongo zum Beispiel spielt das weibliche Oberhaupt einer großen Familie eine besondere Rolle – eine Frau mit einem so großen Herzen, dass es ihr gegen alle anfänglichen Widerstände gelingt, die Mitglieder ihrer Familie sprichwörtlich wieder an einen Tisch zu führen und ihnen zu verdeutlichen, dass viele vermeintlich unlösbare Spannungen letztlich kein Grund für eine vollkommene Entzweiung sind.
So habe ich immer die Hoffnung, dass meine Bücher für die Leser nicht nur unterhaltend, sondern auch ermutigend sein können. Und tatsächlich erhalte ich nicht selten Zuschriften, in denen Menschen mir mitteilen, dass sie sich nach der Lektüre meiner Bücher besser gefühlt, dass sie neue Dinge über sich selbst und ihre Beziehungen zu anderen Menschen gelernt haben.
Apropos «Beziehungen»: Ich bin vollkommen begeistert von den sogenannten neuen Medien. Mittlerweile stehe ich mit vielen Leserinnen und Lesern in einem sehr lebendigen Kontakt, weil es interkontinental so unkompliziert geworden ist. Mit jeder Lesereise vergrößert sich der Kreis derer, mit denen ich über Skype, Facebook oder die klassische Email in Verbindung bleibe.
Etwas hat sich übrigens aus der alten Zeit meines früheren Berufs erhalten: Ich bin nach wie vor eine Frühaufsteherin und brauche die Frische des unverbrauchten Tages zum Schreiben. Zu dieser Tageszeit finden bei mir die eigentlich kreativen Prozesse statt. Später dann, am Nachmittag und Abend, überarbeite ich meine Texte, streiche Passagen oder füge Notizen hinzu. Wenn ich begonnen habe, mich wirklich intensiv mit einem Roman zu beschäftigen, verabschiede ich mich vor dem Schlafengehen regelrecht von meinen Charakteren, denn ich erlebe sie den ganzen Tag über als Begleiter, die nie von meiner Seite weichen.
Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass dies das Leben ist, nach dem ich mich immer gesehnt habe. Ich war immer ein disziplinierter und ehrgeiziger Mensch, was als Autorin auch unbedingt notwendig ist. Meine Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass harte Arbeit und Hingabe für den Erfolg als Schriftstellerin mindestens so wichtig sind wie Talent. Ich habe erlebt, dass die Fähigkeit, sich diesem Beruf ganz hinzugeben, deutlich seltener zu finden ist als bloßes Talent.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Beweglichkeit. Sollte der Eindruck entstanden sein, ich würde meinen ganzen Tag am Schreibtisch verbringen, und das sieben Tage in der Woche, muss ich dies korrigieren. Auch das Loslassen, das Ausatmen ist elementarer Bestandteil meines Lebens. In diesem Winter habe ich etwas ganz Besonderes geplant: Mit meinem Mann und einigen Freunden werde ich mich auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela begeben – und ich kann es kaum noch erwarten, dort neue Geschichten von faszinierenden Menschen zu hören …
Aus dem Englischen von Michael Stehle