Meine Bücher entstehen in dem Moment, wenn eine Anzahl von Gedanken, die ich geraume Zeit in meinem Kopf hin und her gedreht habe, sich aufeinander zu bewegen und Verbindungen eingehen. Es kommt mir dann so vor, als würde ich eine Kiste mit Puzzleteilchen mit mir herumschleppen und hin und wieder schütteln. Und dann, eines Tages, nehme ich den Deckel von der Kiste ab und sehe, dass sich die Teile ganz von selbst zusammenfügen. Ich bin mir nicht sicher, ob es bei meinem ersten Buch, The Boneshaker, so war, aber bei allen folgenden Büchern ist es so passiert. Broken Lands kam auf diese Weise zustande; die Geschichte besteht aus folgenden Puzzleteilchen: Feuerwerk, Kartenhaie, chinesische Immigranten in San Francisco, Coney Island, Brooklyn Bridge. Dazu noch Hacker-Angriffe auf Server, Hoodoo, Computernetzwerke und die Figur des Jack (oder «Hans» im Deutschen) im Volksglauben. Und die Bedeutung von Kreuzungen.
Kreuzungen faszinieren mich. Sie tauchen in den Mythen und Legenden aller Kulturen als Orte der Prüfung auf, als Durchgänge – sowohl für das Gute wie auch das Böse. In einigen Geschichten sind sie die Begräbnissstätte von Königen, in anderen dagegen Orte, wo Selbstmörder und Mörder verscharrt werden. Manchmal werden sie vom Teufel heimgesucht, manchmal kann der Teufel einem nicht über eine Kreuzung folgen. Dann werden sie zu einem sicheren Hafen für die Verfolgten. Sie sind gleichermaßen verflucht und geheiligt. Aber wie auch immer – sie sind niemals ungefährlich. Kreuzungen sind Orte, wo eine Entscheidung gefällt werden muss.
In The Boneshaker ist die Kreuzung ein Ort von großer Macht. Mein Mann und ich schauten uns einmal eine Dokumentarsendung über die Brooklyn Bridge an, und er meinte, dass durch diese Brücke eine Kreuzung zwischen den beiden Städten New York und Brooklyn entstanden sei, die damals noch nicht Teil ein und derselben Stadt waren. Als ich diesen Gedanken aufgriff, fand ich plötzlich die passenden Stellen für die Puzzleteilchen, die ich mit mir herumgetragen hatte, während ich darüber nachdachte, welches Buch ich als Nächstes schreiben wollte.
Ich weiß nie genau, wohin eine Geschichte führt, wenn ich damit anfange. Ich kenne nur ein paar Teile, die ich hineinweben will. Und lange Zeit habe ich keine Ahnung, wie das alles zusammenpassen wird. Ich schreibe kein Konzept, keinen Entwurf, sondern arbeite eine Liste mit Dingen ab, die ich für interessant halte und die meiner Meinung nach in einer Geschichte eine gute Figur abgeben könnten. Es ist ein bisschen beängstigend, weil ich während des Schreibens nie genau weiß, wohin das alles führen wird. Ich betreibe ausgiebige Recherchen, aber meistens bin ich mir nicht sicher, was genau ich für das Buch überhaupt brauche.
Andererseits ist diese Arbeitsweise ungemein befreiend. Die Geschichte kann überall hin wandern. Alles ist möglich. Und während ich schreibe, halte ich die Augen offen, für den Fall, dass mein Blick auf etwas Glänzendes fällt, eine neue Idee, ein herumstreunendes Puzzleteil, denn vielleicht ist dies genau das Element, das die Geschichte in diesem Moment braucht. Jede neue Entdeckung kann die Geschichte verändern. Dadurch wird das Schreiben eines Buches – was gewöhnlich ein langer, oft mühsamer und frustrierender Prozess ist – zu einem regelrechten Abenteuer. Und jedes Mal, wenn es mir gelingt, die Geschichte über eine Kreuzung zu navigieren, entsteht etwas Neues. Wie ich schon sagte: Kreuzungen faszinieren mich.
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst