Als Kind umgaben mich viele verschiedene sprachliche Klangräume, von denen jeder einzelne nicht nur anders eingerichtet war, sondern auch anders roch, wärmte, atmete und ein Geheimnis barg, das ihm allein gehörte. Guarani, Spanisch und Portugiesisch waren die ersten dieser Räume, später kamen Farsi, Singhalesisch und Tamil hinzu. Mit allen war ich vertraut, aber zu meiner Heimat wurde die Sprache der Brüder Grimm. Lange wohnte ich auch im immer noch geliebten Englisch, das ich mit acht Jahren in einer Mischung aus britischem Hochenglisch und dem gesungenen Englisch Sri Lankas kennenlernte.
Sprache war für mich von frühester Kindheit an immer mit Menschen und Farben verbunden: Hautfarben, Klangfarben, Seelenfarben. Und sie war immer Teil von Geschichten, erlebten wie gehörten. Durch das gleichzeitige Leben im englischen und deutschen Sprachraum – zeitweise entschied ich situationsbedingt, ob ich auf Englisch oder auf Deutsch denken wollte – wurden mir die sprachlichen Zwischenräume, durch die Ungesagtes erst erscheinen kann, immer vertrauter. Insbesondere die englische Sprache lebt ja geradezu vom Nichtgesagten, wird überhaupt erst zur Sprache, indem der Hörende mithört, was nicht gesagt wird. Im Deutschen ist das ganz anders, hier sind es die Nuancen in der Melodie eines Satzes, in seinem Rhythmus oder einer Vokalfolge, durch die das Ungesagte in Erscheinung tritt – nicht durch Weglassen, sondern in der Ausgestaltung. Auf Deutsch schreiben heißt vor allem Lauschen auf die seelischen Gewänder der Gedanken, die unbedingt gesagt sein wollen.
Übrigens schreibe ich das hier nicht auf, weil ich etwa glaube, das besonders gut zu können. Aber das Motiv ist wichtig: Ich schreibe viel über Kinder und Pädagogik, über ihre Wirkung auf und
ihre Verletzbarkeit durch die Gesellschaft, in der sie leben. Dabei steht oft eine Erfahrung aus meiner Klassenlehrertätigkeit vor mir:
Wenn ich während meiner Unterrichtsvorbereitung das Bild eines bestimmten Kindes lebendig vor mir hatte, mich gleichsam mit ihm darüber austauschte, was es aus diesem Unterricht mitnehmen könnte, wurde er für alle Kinder interessanter. Das geschah aber nicht, weil ich mein Konzept am nächsten Tag genau einhielt, sondern weil ich es loslassen konnte, um die Kinder besser wahrzunehmen. Man erzählt anders, wenn man gleichzeitig zuhören kann.
Als Klassenlehrer denkt man oft in Bildern, weil nacktes Wissen kein einziges Kinderherz erwärmt und damit auch den Geist kalt lässt. Wer etwas rauskriegen will, hört zu, schaut hin, bewegt «es» und sich, ist mit der Aufmerksamkeit da, wo etwas passiert. Der anspruchsvollste Teil der Vorbereitung besteht daher darin, das fertige Lehrplan-Wissen mit so viel Phantasie zu durchdringen, dass es erst mich, dann – hoffentlich – die Kinder bewegt.
Deswegen lasse ich auch vor dem Schreiben von Texten erst Bilder an mir vorüberziehen, bis eins mein Herz berührt. Dann folgen die Worte, manchmal leicht und im Fluss, manchmal müssen sie mühsam aufgesammelt und zusammengelegt werden, immer hoffend, dass am Ende nicht nur ein Haufen loser Steine, sondern ein Mosaik entsteht, an dem sich die Farben der Menschen und Gedanken zeigen.
Jedes Thema braucht eine eigene Sprache, wie jede Erzählung ihre eigene Melodie braucht. Kinder sind dabei die besten Lehrer, weil – eine gute Vorbereitung vorausgesetzt – sie durch die Art ihres Zuhörens oft auch mir eine tiefere Schicht des Erzählten erschließen. Schon erstaunlich, was Worte «anrichten» können ...