Liebe Susanne
Seit einigen Wochen habe ich vor, an dieser Stelle über dich zu schreiben, denn von der allerersten Ausgabe unseres Lebensmagazins a tempo im Januar 2000 an bis zum März dieses Jahres hast du Monat für Monat die «kinderseite» geschrieben. Das waren ganz genau 17 x 10 Seiten, die du mit deinen Betrachtungen und Anregungen für die Kinder und ihre Eltern fülltest! Vor allem deine in leichten, fröhlichen Versen verfassten Rätsel haben unzählige Kinder dazu animiert, dir die Lösung einzureichen, oft mit herrlichen Bildern versehen; und jeden Monat hast du allen zwölf bzw. zehn Gewinnerinnen und Gewinnern deines Preisrätsels persönlich geschrieben und gratuliert.
Am heutigen Sonntag – und wie stimmig fühltest du, dass der Tag deiner Geburt, der 19. August 1956, ein Sonntag gewesen ist! – wollte ich alle deine Rätsel nochmals lesen, bevor ich mich ans Schreiben für diese Seite setzte. Doch nun ist es Abend und ich bin erst beim vierten Jahr 2003 angekommen, so sehr musste ich immer wieder innehalten bei der lebendigen Gegenwart deiner Stimme, die in diesen einfachen, aber mit so viel Liebe für das kindliche Gemüt geschriebenen Versen zum Ausdruck kam. Da diese Seite bereits morgen in Druck gehen muss, habe ich die Lektüre abbrechen müssen und sitze nun, den eigenen überquellenden Schreibtisch fliehend, an unserem Lieblingsplatz: auf dem Balkon mit Blick gen Westen ins Grüne, an dem Ort, an dem wir noch viele laue Sommerabende zusammen verbringen wollten … Ich muss dabei an unser erstes längeres Gespräch am 4. Januar 1979 zurückdenken – wir führten es nach der internationalen Jugendtagung an meiner alten Schule in Kings Langley über die Weihnachtstagung zur Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft durch Rudolf Steiner im Jahr 1923. Wir trafen uns, da die Fähre euch unwetterbedingt nicht über den Ärmelkanal übersetzen konnte, bei Tuttons in Covent Garden. Es war ein langes Gespräch, das auch lange nachhallte, denn wenige Tage danach, am 7. Januar, schrieb ich folgende Zeilen «Für Susanne Wege» nieder:
I search for words
Sensing we have a poem to perform
In the silence of the soul
In the unspoken dialogue of eyes
Shifting like the early summer breezes
In the trees
Upon the soul’s more tender leaves.
My hands go out upon the dark
Still groping, still hoping
To pluck from the nocturnal strings of hearts
A song to voice our destiny.
Verliebt war ich noch nicht. Aber deine stille, zurückhaltende, ja scheue, aber sehr aufmerksame Art, alles um dich herum wahrzunehmen, löste offenbar in mir eine in die Zukunft lauschende Stimmung aus. Erst Ende August 1979, nach deinem Eurythmie-Abschluss am Goetheanum in Dornach, als ich mit deinem Bruder Peter und dir bei euch zu Hause in Langen eine neue internationale Jugendtagung über das Erleben des Ätherischen in der Kunst im schwedischen Järna vorbereiten wollte, da habe ich mich in dich verliebt. Das wurde mir zumindest bewusst, als ich mich von euch trennen musste, sodass ich auf der sehnsuchtsvollen Rückfahrt für dich die folgenden Verse schrieb:
Sanft umflossen liegen helle Tage –
Unverkannt die Wege, die sie deuten,
Schimmernd in die Herzen sich ergießend.
An des Himmels blauem Ufer
Neigen sich die Sterne zum Verband,
Nimmt deine Hand die meine ruhig heilend,
Erschließend neues Schicksalsland.
Bei der darauffolgenden Begegnung während der großen Michaeli-Konferenz Ende September am Goetheanum habe ich dich mit einer kleinen Nacherzählung von Shakespeares Komödie Verlorene Liebesmühe ein wenig überlistet – und wir waren verlobt. In Mannheim, in der Stadt deiner Geburt, auf dem Weg zu deiner Mutter in Langen, haben wir die Eheringe gekauft und sie in einer Telefonzelle getauscht. Und als wir am 5. Juli 1980 in der Christengemeinschaft in Darmstadt heirateten und das Lied «Bist du bei mir» von Bach gesungen wurde, da hast du gleich den Wunsch geäußert, dass es auch zu deiner Beerdigung gesungen werden sollte. – Das hat Peter dankenswerterweise auch für den 27. Juni nach deinem Tod an Fronleichnam organisieren können.
Liebe Susanne, du warst so gerne Mensch unter Menschen, Kind dieser Erde und Mutter unserer fünf Kinder. Noch suche ich die Worte, um das Gedicht weiterzuschreiben, das wir nach wie vor gemeinsam ausführen wollen …
Immer dein Jean-Claude. Sonntag, den 10. August 2014