Der Biographie eines Menschen wohnt ein Zauber inne – ein ganz besonderer, der uns immer dann ergreifen kann, wenn wir hingegeben den Lebensberichten eines Menschen lauschen. Als Kind habe ich das schon gespürt, denn obwohl ich alles gelesen habe, was mir begegnete, schälte sich bald eine Liebe zu Biographien heraus, die mich nicht mehr verlassen hat. Viele Biographien haben mich immer wieder mit diesem Zauber eines menschlichen Lebensweges verbunden, wo sich ein ganz spezifisches Schicksal zeigt, unsichtbar geleitet wie aus einer anderen Welt.
Zum Ende meines Studiums der Kultur- und Kunstgeschichte wählte ich als Diplomthema die Biographie von Marianne Brandt, deren Arbeiten aus der Metallwerkstatt des Bauhauses zwar weltberühmt sind, aber viel zu selten mit ihr in Verbindung gebracht werden. Von einem kurzen Lebenslauf ausgehend konnte ich nach jahrelangen Recherchen – ich setzte diese Arbeit in meiner Dissertation fort – eine umfangreiche Biographie und ein Werkverzeichnis vorlegen und diese Künstlerin auch für nachfolgende Generationen erlebbar machen.
Auch meine neue Arbeit für das Karl König Institut ist wieder mit einer Biographie verbunden – mit dem Leben und Werk Karl Königs, der nach seiner Flucht im schottischen Exil die erste Camphill-Siedlung gründete: der Beginn einer experimentellen Gemeinschaft, in der Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam leben, arbeiten und lernen können. Seinen Tagebucheinträgen über die Jugendfreundschaft mit Alfred Bergel ist es zu verdanken, dass meine Frage nach dem weiteren Schicksal dieses Freundes aufkam. Alfred Bergel war wie Karl König jüdischer Herkunft und konnte nach 1938 Wien nicht verlassen, sondern er wurde nach Theresienstadt verschleppt und in Auschwitz ermordet. Aus dem ersten Impuls, anhand dieser Tagebuchnotizen den völlig vergessenen Alfred Bergel wieder ins Licht unseres Bewusstseins zu bringen, ist das im Spätherbst 2014 erschienene Buch entstanden – eine spannende Biographie, reich an Fotografien, Zeichnungen und Aussagen ehemaliger Häftlinge über den geschätzten Theresienstädter Künstler und Lehrer. Schritt für Schritt konnte aus der Deportationsnummer ein lebendiges Schicksalsbild entstehen.
Während dieser Arbeit durfte ich mehreren Menschen begegnen, die durch die Hölle der Konzentrationslager gehen mussten und überlebt haben. Menschen wie der Künstler Fred Terna, der sich noch an seine Begegnung mit Alfred Bergel in Theresienstadt erinnern kann, und Mariánka Zadikow-May, die ich befragt hatte, als ich auf der Suche nach ehemaligen Häftlingen war, die ein Fälschen von Kunstwerken in Theresienstadt bezeugen konnten. Denn zum Fälschen von Kunstwerken wurde auch Alfred Bergel nach Aussagen von Mithäftlingen gezwungen. Mariánka musste gemeinsam mit ihrer Mutter in der «Lautscher-Werkstatt» von Theresienstadt arbeiten, wo auch Alfred Bergel Zwangsarbeit leisten musste. Fred Terna hatte als junger angehender Maler Alfred Bergel um Rat für seine eigenen zeichnerischen Versuche gebeten. Ich bin sehr dankbar für unsere gemeinsam verbrachten Stunden in seinem Haus in Brooklyn, wo er mir aus seinen Erinnerungen berichtet und seine Malerei gezeigt hat.
So ist das eigene Schicksal immer wieder geleitet und verbunden mit dem Schicksal anderer Menschen, und besonders in der jetzigen winterlichen Jahreszeit kann die innere Frage entstehen, wie und warum es so gefügt wurde.