Mein Mann und meine drei Kinder sind aus dem Haus, die kurze Woge morgendlichen Aufruhrs zwischen Kindergartenalter und Pubertät ist verebbt. Ich freue mich auf intensive Stunden an meinem Ateliertisch. Ich habe das Glück, ein Atelier außerhalb unseres Wohnbereiches zu haben, sodass ich die Türe zwischen meinen beiden Lebensbereichen schließen kann, wenn die Kinder in der Schule beziehungsweise im Kindergarten sind.
Den Übergang von der einen in die andere Welt vollziehe ich mit einer Tasse Kaffee in der Hand: abseits vom Häuslichen, mit Fenster zum Garten, Vogelkonzert. Oft ist es ruhig, manchmal höre ich den Gesang der Nachbarin, einer Musikerin, beim Üben. Kraftvoll, intensiv, Soul.
Das Aufziehen des Aquarellpapiers auf das Malbrett ist oft meine erste Handlung am Morgen. Handwerkliches zum Ankommen: Wasserwanne, Papier, Nassklebeband. Sorgfalt, routiniertes, ruhiges Arbeiten, das die Vorfreude weckt auf das, was danach kommt.
Wenn ich eine Arbeit beginne, weiß ich nicht, wie das Ergebnis aussehen wird. Am Anfang ist da kaum mehr als eine Ahnung, eine Spur, nach der es sich auf die Suche zu machen gilt. Ich skizziere mit dem Bleistift, erst grob und frei, um die Komposition des Blattes zu entwerfen, zu finden. Parallel dazu entstehen Farbskizzen, auch diese frei, schnell, spontan. – Stück für Stück wird die Arbeit genauer, feiner, detaillierter. Das braucht, wenn es die Deadline erlaubt, manchmal Wochen – und oft viel Papier.
Ideen wollen entwickelt werden, Figuren wollen entstehen. Ich muss sie bewegen, damit sie lebendig werden, sie brauchen Welten, in denen sie heimisch sind, die sie erkunden wollen … Für mich ist es immer wieder – und vielleicht mit der Zeit immer mehr – ein Lernen, ein Üben. Jede dargestellte Bewegung ist gleichzeitig Bewegungsstudie, jede dargestellte Figur Anatomiestudie, jede Gruppierung verschiedener Bildelemente erweitert meine Kenntnis von Komposition.
Dieses Arbeiten verlangt große Wachsamkeit: Die Idee, die Spur, der Grundimpuls darf nicht verloren gehen. Zugleich ereignet sich im Werdenden immer wieder Neues, Ungeplantes und Unplanbares, dem auch mit Offenheit und Wachheit begegnet sein will. Aus einem Farbverlauf, der nicht gelingt wie geplant, aus einem – oh Schreck – Wasserfleck können Wege werden, die in unbekanntes Terrain führen. Die mich vielleicht sogar dem, was ich – ich? das Bild? – will, näherbringen. Näher wohl, als ich es planen könnte.
Wenn dann am frühen Nachmittag nach und nach meine Kinder nach Hause kommen, ist der Rückweg von der Atelierwelt in die Familienwelt oft holperig, manchmal schmerzhaft. Schöpferische Prozesse haben ein Eigenleben, fordern Aufmerksamkeit. Sie wehren sich dagegen, auf einige wenige Stunden am Vormittag begrenzt zu werden. – Umso mehr genieße ich die Augenblicke, wenn meine beiden Welten dann doch nicht so weit voneinander entfernt sind: Wenn meine Kinder gemeinsam mit mir Ideen entwickeln, Geschichten erfinden, Bildkompositionen durchdenken. Gnadenlose Kritiker und grenzenlose Bewunderer.
Oder wenn meine Jüngste sich den Sandelefanten* aus dem Bücherregal nimmt und wieder einmal eintaucht in die Welt der Bilder, die in meiner fernen Ateliertisch-Welt entstanden sind.