Noch nie in meinem Leben habe ich so viel freie Zeit an meinem Schreibtisch zugebracht wie in den letzten fünfzehn Jahren. Schon als Kind habe ich viel Zeit in der Natur zugebracht – die geheimnisvolle Welt der Tiere zog mich magisch an. Die Übergangszeit von der Nacht zum Tag liebte ich sehr und bevorzugte sie auch später beim Besuch besonderer Orte wie etwa Delphi, Samothrake, Pompeji, Stonehenge, dem Grand Canyon, einem indonesischen Vulkangipfel oder den Oasen der Sahara. Auf meinen Reisen, sei es per Fahrrad, Kajak, Auto oder Flugzeug, hatten die frühen Morgenstunden fast immer einen bevorzugten Rang. Eine glückliche Neigung, um den Vogelgesang zu studieren.
Mit dem Bücherschreiben begannen dann an meinem Schreibtisch die Reisen anderer Art, wobei die kreativsten Zeiten wiederum früh morgens waren – so auch bei meinem neuen Buch Über die Art hinaus.* Dieses handelt von «klugen Tieren», beispielsweise Rabenvögel, Menschenaffen, Elefanten, Delphinen oder Papageien.
Heute kann man von der Intelligenz der Tiere wie auch von der Musikalität der Singvögel sprechen, ohne Befremden auszulösen. Denn bedeutende Erkenntnisse und Entdeckungen sind Allgemeinwissen geworden: Im Hippocampus, dem Gehirnbereich, der für Lernen und Gedächtnis wichtig ist, werden ständig neue Nervenzellen gebildet. Das Vogelgehirn ist leistungsfähig wie ein Primatenhirn. Tiere passen sich nicht nur an die Umwelt an, sondern gestalten und verändern sie. Tiere sind keine passiven Objekte der Natur; es sind aktive, sensitive Subjekte, die in gewisser Weise ihre eigene Evolution mitgestalten. Intelligenztests, bei denen es sich um komplexe Werkzeugnutzung oder -herstellung handelt, werden zwar häufig nur vom intelligentesten Tier bestanden, aber für die tierische Evolution sind gerade diese Individuen von großer Bedeutung. Sie schaffen jeweils Innovationen, die von anderen übernommen und an die Nachkommen tradiert werden.
Manche Tiere haben gute Gedächtnisfähigkeiten und teils komplexe Kommunikationsformen entwickelt; einige Affen lernten sogar die Gebärdensprache. Höhere, sozial lebende Wirbeltiere erkennen alle Artgenossen ihrer Gruppe; einige kooperieren miteinander, andere empfinden Empathie; nicht wenige verstehen es aber auch, andere zu täuschen. Dazu ist es notwendig, sich in andere hineinversetzen zu können, was einen gewissen Grad von Selbstwahrnehmung voraussetzt. Von Rabenvögeln und Säugetieren sind recht raffinierte Täuschungsstrategien bekannt, die nicht auf Genmutationen zurückgehen, sondern in der Regel Neuerungen fortschrittlicher Individuen sind. Der in einem schwedischen Zoo lebende Schimpanse Santino ist sogar fähig, echte Täuschungsaktionen zu planen, vorzubereiten und durchzuführen. Er mag keine Besucher und bewarf sie deshalb mit Steinen. Die Menschen flüchteten, worauf dieses aggressive Tier seine Taktik änderte: Morgens, bevor die ersten Besucher kommen, also ohne unmittelbaren Auslöser, sammelt er Steine und versteckt sie unter dem von ihm bereitgelegten Heu. So sitzt er wartend am Rand des Wassergrabens, der sein Gehege umgibt, und macht auf die eintreffenden Besucher einen friedlichen Eindruck. Er wirft seine Steine dann auch nicht wahllos, sondern genau in jenem Moment, wenn sich die Besucher zum Weitergehen umdrehen! – Hat dieser Affe eine Vorstellung davon, wie ein Mensch empfindet oder reagiert? Verfügt er über Selbstkontrolle?
Höhere Säugetiere und Rabenvögel scheinen, zumindest bei ihren listenreichen Methoden, eine mentale Repräsentation davon zu haben, was andere Individuen – vor allem Artgenossen – wissen und fühlen. Die frühen Stunden am Schreibtisch haben mich recherchierend und schreibend diesen Tieren nahe gebracht.