Nietzsche hat mich mit gelehrt, über Musik zu schreiben (und nachzudenken!), als ich noch keine achtzehn war und sich die leidenschaftliche Liebe zu dieser Kunstform in mir immer stärker manifestierte, unter anderem durch das Erlernen des Klavierspiels, für das ich mir zügig einen Überblick über die Klavierliteratur verschaffte. Und er hat mich in meiner Suche nach einem eigenen «musikalischen Stil» und dessen Definition bestärkt.
Die Lektüre seines Zarathustra war in dieser Hinsicht eine grundlegende Erfahrung, wie bald darauf sein gesamtes Werk, das, wie ich rasch feststellte, ganz und gar getragen ist von der Musik. Man kann nicht genug betonen, wie absolut essenziell die Musik für Nietzsche war (er las Partituren, spielte Klavier und komponierte). Ohne sie hätte es wohl keine Nietzsche’sche Philosophie gegeben!
Doch wenn ich «aus der Musik heraus» schreibe, dann vor allem, weil sie – noch vor der Entdeckung der erzählenden Literatur und der Dichtkunst – meinen Geist und meinen Stil geformt hat. Meine ersten Gedanken waren alle an ihr ausgerichtet. Schon wieder wie bei Nietzsche! «Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern und gar Nichts weiter» – eine Maxime des zutiefst musikalischen Philosophen, die die Übereinstimmung von Inhalt und Form zum Ausdruck bringt.
Nicht nur meine biografischen Essays über Chopin, Liszt, Skrjabin und Glenn Gould, auch meine anderen Werke (Gedichte und Aphorismensammlungen, teils vor den Essays entstanden) sind stark von der Musik beeinflusst, ebenfalls in erster Linie im Hinblick auf den Stil und die Form. So stellt der Aphorismus, wie ich ihn verstehe, eine Form dar, die gänzlich vom Geist der Musik geleitet wird.
Gemeinsam ist meinen Biografien, so scheint mir, eine Art geistiger roter Faden, der sie durchzieht und verbindet. Bei allen vier genannten Künstlern scheinen Kunst und Gedankenwelt auf etwas hinzudeuten, das über die Musik hinausgeht, die somit Zugangspforte zu einer höheren Dimension und kein Selbstzweck ist.
Vollkommen offensichtlich ist dies bei Liszt, Skrjabin und Gould, die, jeder auf seine Weise, diese Suchbewegung angeregt haben, indem sie erklärten, das Klavier sei nur eines von verschiedenen Mitteln, mit denen sich Musik audrücken ließe – wenn auch ein besonders geeignetes.
Etwas kühner klingt die Behauptung, wenn man sie auf Chopin anwendet, dessen Welt ganz um das Klavier kreist. Dennoch kann man auch bei Chopin sehr wohl ein geistiges Universum erkennen, so eigenwillig es auch aussehen mag – eines, das in der Erschaffung einer geradezu visionären musikalischen Welt besteht, entstanden aus der Verherrlichung der Musiktradition seines geliebten Polen, das er nach dem Aufstand von 1830 verlassen musste. Das wird insbesondere in seinen
Mazurken deutlich, die ein regelrechtes musikalisches Tagebuch darstellen, ein Korpus, das sich mehr und mehr von seinem nostalgischen Vorwand löst und sich zu reinem musikalischen Gold verdichtet. Ein alchimistisches Wunder, das in der Geschichte der Musik seinesgleichen sucht.
Über Musik schreiben kann folglich aus meiner Sicht verschiedene Bedeutungen haben: Man kann sie «kommentieren», vorzugsweise so poetisch wie möglich (hier ist das Leben des Musikers nur der Vorwand für eine entschieden nicht musikwissenschaftliche Analyse seiner Werke), oder man kann direkt über sie schreiben, auf quasi analoge Weise, wie ich es bei Chopins Werken (Nocturnes, Préludes, Etüden) getan habe, indem ich Worte zu den Noten gesetzt habe, im Gegensatz zur historisch gängigen Praxis, beim Lied etwa, wo Worte zu Musik und durch sie verwandelt werden. – So muss das, was wir über die Musik oder aus ihr heraus sagen, aus derselben Quelle stammen wie sie.