Es war im Sommer 1897, auf der idyllischen Ostseeinsel Gotland, als Selma Lagerlöf durch eine Zeitungsnotiz auf den Stoff ihres Auswanderer-Romans Jerusalem stieß. Sie verbrachte gerade einen Arbeitssommerurlaub mit ihrer Schriftstellerfreundin Sophie Elkan und schrieb an den letzten Kapiteln ihres zweiten Romans, zu dem die gemeinsame Italienreise im Vorjahr sie inspiriert hatte. Offenbar bewirkte nun diese kleine Notiz, dass sofort die Idee zu einem neuen Roman und einer neuen Recherchereise Gestalt annahm. Es sollte die größte Reise ihres Lebens werden – und der Roman sollte sie definitiv als Ausnahme-Schriftstellerin etablieren.
Folgendes war in dem Lokalblatt zu lesen: «Die Bauern in Nås in Dalarna, die ihres Glaubens wegen nach Palästina gezogen sind, beginnen, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Sie haben ein Stück Land gepachtet und ein paar schwedische Pflüge geordert, um es bestellen zu können.»
Es mutet seltsam an, dass zwei so lapidar formulierte Sätze Anstoß zu einem Roman geben sollten, der vor Dramatik und eigenwilligen Charakteren dermaßen strotzt. Doch es kam wohl mehreres zusammen – zu allererst vielleicht Selma Lagerlöfs zielgerichteter Wille.
Sie wollte ein schwedisches Nationalepos schaffen – und zugleich einen Gegenwartsroman. Das damals frisch erschienene Historien-Buch ihres Kollegen Verner von Heidenstam Karolinerna (Karl XII. und seine Krieger), von der Kritik als «Nationalepos» gefeiert, hatte sie mit seiner Rückwärtsgewandtheit ungemein geärgert. Umso mehr als Heidenstam ihren Gösta-Berling-Stil schamlos imitiert hatte.
Auswanderung war im Schweden des 19. Jahrhunderts ein großes Thema: Hunderttausende versuchten damals, der Armut und dem Hunger in Schweden zu entfliehen und wanderten überwiegend nach Nordamerika aus. Ein ähnlich relevantes Thema waren die Erweckungsbewegungen. Vor diesem Hintergrund stellte die Auswanderung der Nås-Bauern nach Jerusalem, auf die sich die knappe Zeitungsnotiz bezieht, einen reizvollen Sonderfall dar – und war topaktuell.
Dass Lagerlöf Bauern zu Romanhelden macht, ist für die Literatur jener Zeit eine gewagte Neuerung. Aber das scheint die fortschrittliche und selbstbewusste Schriftstellerin ganz besonders zu freuen. In einem Brief an Sophie Elkan weist sie süffisant darauf hin: «Ich habe sehr viel Spaß, wenn ich mir Levertin (er war ein Literaturkritiker) vorstelle, wie er dasitzt und das Leben der Bauern in zwei dicken Bänden genießt, denn eine herrschaftliche Person kommt gewiss kaum vor.»
Nach der abenteuerlichen sechsmonatigen Reise in den Orient 1899/1900 – nach Ägypten, Palästina, Syrien, Griechenland und Konstantinopel – brannte Selma Lagerlöf darauf, endlich zu schreiben. Zunächst musste sie aber Auftragserzählungen für Weihnachtszeitschriften verfassen. Eine davon, Die Ingmarssöhne, gelang besonders gut. Doch mit dem Roman wollte es nicht vorwärtsgehen. Erst ein halbes Jahr später, als sie auf den Gedanken verfiel, eben jene Erzählung als Ausgangspunkt für Jerusalem zu nehmen, kam die Arbeit in Gang.
Im Dezember 1901 erschien der erste Band und brach alle Verkaufserfolge: In wenigen Monaten gingen 15.000 Exemplare über den Ladentisch. Und die Rezensionen? Waren hymnisch. Selma Lagerlöf konnte es sich erlauben, den eben erst (1901) eingeführten Nobelpreis ins Auge zu fassen. Sie erklärt ihrer Freundin Sophie unmittelbar: «Ich werde sowohl in die Akademie gewählt werden als auch den Nobelpreis bekommen. Mach dir bloß keine Sorgen!»