1997 begann ich in einem winzigen Zimmer eines Tübinger Studentenwohnheims Skizzen für meinen ersten Roman in ein Heft zu notieren. Schon bald träumte ich davon, meine Romane irgendwann an einem antiken Schreibtisch aus dunklem Holz mit Schubladen auf beiden Seiten – bestenfalls mit Blick aufs Meer – schreiben zu können.
Die Realität sah jedoch anders aus: Im Wohnheim ähnelte der Schreibtisch einem Wickeltisch, später dann – in Hamburg und Berlin – schrieb ich auf einer seelenlosen Holzplatte, die Tischbeine sahen aus wie Abwasserrohre. Inzwischen leben wir in Wuppertal in einer Altbauwohnung. Die seelenlose Holzplatte habe ich gegen den wackeligen Tisch, an dem meine Frau schon Hausaufgaben gemacht hat, eingetauscht. Auch dieser Tisch hat auffallend wenig Ähnlichkeit mit meinem Tisch, von dem ich seit mehr als zwanzig Jahren träume, aber immerhin steht er direkt am Fenster. Ich schaue in unseren Garten und habe stets ein Fernglas griffbereit, mit dem ich in meinen Schreibpausen Eichhörnchen und Rotkehlchen beobachte.
Mein Schreibtisch erzählt viel über mich. Zum Beispiel bin ich ziemlich chaotisch – in diesem Chaos aber durchaus organisiert.
Es gibt, für meine Frau nicht erkennbar, durchaus so etwas wie einen letzten Rest an Ordnung. Zu meiner Linken befinden sich Blätter mit Notizen zu aktuellen Projekten, ausgedruckte Kapitel mit Anmerkungen, aber auch Sekundärliteratur. Zu meiner Rechten die Tischlampe (dreißig Jahre alt), lose herumliegende Stifte, Taschentücher, ein oft voller Kaffeebecher, das erwähnte Fernglas und ein Schlumpf, der ebenfalls am Tisch sitzt und mich stets anlächelt. Vor mir eine Kladde mitsamt Feder und Tintenfass; schon seit vielen Jahren schreibe ich die erste Version meiner Bücher handschriftlich und mit Feder. Wie das kommt? Ganz einfach: Als ich an meinem Roman über den französischen Schriftsteller Guy de Maupassant arbeitete, wollte ich wie er (geb. 1850) mit der Feder schreiben. Und dann habe ich damit nie wieder aufgehört. Wahrscheinlich, weil ich ein nostalgischer Mensch bin, der den durchdigitalisierten Alltag immer wieder gern entschleunigt. Oft steht aber auch mein Laptop in der Mitte des Tisches – es ist nicht so, dass ich komplett in einer anderen Welt lebe. Am Laptop tippe ich die handgeschriebenen Versionen ab und überarbeite sie.
Von einem antiken Schreibtisch mit Blick aufs Meer träume ich noch immer, aber das ändert nichts daran, dass ich mich in meinem Arbeitszimmer sauwohl fühle. Denn die Stunden, die ich hinter meinem schmucklosen Tisch sitzend in meiner kleinen Chaoswelt verbringe, sind einfach herrlich: Als Schriftsteller reist du auf diese Weise oft um die Welt oder erlebst die verrücktesten Abenteuer oder befindest dich plötzlich in einem anderen Jahrhundert. Während du schreibst, löst sich alles um dich herum auf, du fühlst mit den Protagonisten – und das ist nichts weniger als der reine Wahnsinn. Es gibt Schriftsteller, die werden nicht müde zu betonen, wie sehr sie beim Schreiben leiden. Ich schüttele jedes Mal ungläubig den Kopf, wenn ich diesen Mist wieder irgendwo lesen muss.
Für mich gibt es nichts Tolleres. Eines meiner Lieblingskapitel in meinem aktuellsten Buch – meinem ersten Kinderbuch – heißt «Papas Geschichten»: Die siebenjährige Heldin Luna, die sich beim heimlichen Schnitzen gern mal in den Finger schneidet und dann in der Notaufnahme landet, schaut ihrem Papa, einem Schriftsteller, beim Schreiben zu – und plötzlich ist auch sie mittendrin in der Geschichte, und dann schreiben beide gemeinsam weiter …