Die Studentengruppe, die unter dem Namen «Weiße Rose» bekannt wurde, rüttelt wach – bis heute. Ihre Geschichte ist komplex und birgt zum Teil unlösbare Rätsel. Das Bewegende ist aber nicht nur der Verlauf der Ereignisse, sondern wofür diese Menschen standen: ihre Gedankenwelt, ihr Leben mit Literatur, Philosophie und Kunst. Eine wichtige Figur dieses Kreises, die immer im Hintergrund blieb, ist Traute Lafrenz. Eng befreundet mit Hans Scholl, aber auch mit Alexander Schmorell oder den Hamburgern Gretha Rothe und Heinz Kucharski, hat sie wie durch ein Wunder Haft und Verhöre überlebt.
«Als meine Wirtsleute, Hans und Grethe Gmehling, die Flugblätter mit der Post erhielten, habe ich diese zum ersten Mal gesehen», erzählt Traute Lafrenz. «Sie waren begeistert von dem, was da stand, sie waren überzeugte Gegner der Nationalsozialisten. Sie kannten meine Einstellung und zeigten mir, was sie bekommen hatten. Das war für mich ein Schock. Aus den verwendeten Begriffen, der Thematik und den Formulierungen schloss ich sofort, dass die Flugblätter von einem oder mehreren von ‹uns› geschrieben worden sein mussten: Es wurden Staatsformen diskutiert, genau wie auf unseren Treffen, es gab literarische Verweise, die wir ständig verwendet hatten. Das, was mich wirklich erschütterte, war ein Zitat im vierten Flugblatt, aus dem Buch der Prediger (4,1–2). Die hatten wir in Hamburg zusammen mit Erna Stahl rezitiert. Ich hatte sie aufgeschrieben und Hans gegeben: ‹Wiederum sah ich alles Unrecht an, das unter der Sonne geschieht, und siehe, da waren Tränen derer, die Unrecht litten und keinen Tröster hatten. Und die ihnen Gewalt antaten, waren zu mächtig, sodass sie keinen Tröster hatten. Da pries ich die Toten, die schon gestorben waren, mehr als die Lebendigen, die noch das Leben haben.›
Ich fragte Hans, wer der Urheber der Flugblätter sei. Er antwortete mir, so etwas solle man nicht fragen. Das sei gleichgültig, außerdem sei es nicht immer gut, zu viel zu wissen. Interessanterweise sagte er das Gleiche zu Sophie, das habe ich später von ihr erfahren. Es war, als ob er die Frauen etwas auf Abstand halten wollte. Aber ich verstand den Wink und fuhr fort, an unseren Treffen teilzunehmen. Nach und nach ergab es sich, dass ich, ebenso wie andere, zum Beispiel auch Sophie, Papier, Briefmarken und anderes besorgte, was für die weiteren Aktionen gebraucht wurde.»
Am 19. April 1943 standen 14 Personen vor Gericht, angeklagt im Prozess gegen die Weiße Rose. Vier von ihnen waren Frauen …, alle bekamen kürzere Gefängnisstrafen. Weder durch Nachforschungen noch Verhöre konnte bewiesen werden, dass sie stärker involviert waren oder vorsätzlich etwas falsch gemacht hatten. «Als Mädchen bekommen sie dafür ein Jahr Gefängnis», heißt es in der Urteilsverkündung für Traute und zwei der anderen.
«Kann man Traute Lafrenz als brave Zuarbeiterin eines Männerkollektivs sehen?», fragt Katrin Seybold in einem Vortrag über weibliche Widerstandskämpfer in München. «Sie ist eine Initiatorin der Münchner Leseabende, gibt Flugblätter an Kommilitonen weiter, bringt sie nach Wien und Hamburg. Als Vater Scholl von seiner Angestellten Inge Wilke denunziert worden war, hilft sie in dessen Büro, nach der Verhaftung der Geschwister Scholl warnt sie Josef Furtmeier, Kurt Huber, ihre Wirtsleute und fährt nach Ulm zur Familie. Sie versucht, für Christoph Probst ein Gnadengesuch von dessen Frau zu erhalten, säubert mit Werner Scholl die Wohnung von Sophie und Hans von weiterem Belastungsmaterial und hat den Mut – wie keiner sonst –, am Begräbnis der Scholls teilzunehmen.»
Traute Lafrenz befand sich wohl eher nicht im eigentlichen Zentrum der Weißen Rose. Am Verfassen der Flugblätter war sie nicht beteiligt. Aber sie tat alles mögliche andere. Sie trug dazu bei, das Kulturerbe als Waffe gegen die Barbarei wiederzubeleben, sie half, die Verbreitung der Flugblätter praktisch möglich zu machen und diese selbst zu verbreiten. Und sie machte durch ihr Handeln ihren Standpunkt und ihre Haltung deutlich, als alles verloren zu sein schien.