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Benjamin J. Myers

The Bad Tuesdays

Nr 158 | Februar 2013

Mit Chess, Box und Splinter


Ob eine Handlung gut oder schlecht ist, richtig oder falsch – wer will das beurteilen? So wie es aussieht, muss es nicht sein. Was gerade noch richtig schien, kann sich im nächsten Augenblick als falsch erweisen. Leben ist mehr denn je eine Frage des Timings, der Geistesgegenwart – im Augenblick das Richtige zu tun.
So könnte man auch die Jugendbuchreihe von Benjamin J. Myers: The Bad Tuesdays auf den Punkt bringen. Drei Geschwister, Chess, Box und Splinter, leben als Waisenkinder in der Kanalisation, sie hausen im Untergrund einer namenlosen Stadt. Wir erfahren nichts von ihrer Herkunft, die Handlung setzt ein mit furiosem Tempo. Dieser Fantasyroman-Mehrteiler rauscht durch Zeit und Ewigkeit, dazu ist er mit überbordender Phantasie ausgestattet.
Doch bei allen Kapriolen der atemberaubend spannenden Hand­lung und der Überfülle der Gestalten verliert man nie aus dem Auge, worum es eigentlich geht: Eine geheimnisvolle Macht be­droht das Leben von Kindern und Jugendlichen. Die sogenannte «Verbogene Symmetrie» ist angewiesen auf die Lebenskräfte der Heranwachsenden. Sie wollen sie rauben und unter ihre Kontrolle bringen. Nur so können die finsteren Mächte ihr Ziel erreichen: Alle Veränderung soll aufhören, alle Lebensbewegung soll münden im Frieden einer ewigen Ruhe. Wenn alle Potenziale und Energien erst automatisch in den richtigen Bahnen verlaufen, dann gibt es kein Leiden mehr, keine Irrtümer, keine Krankheit, weder Krieg noch Tod. Das ist die Verheißung. Ein verlockender Gedanke?
Hier gabeln sich die Wege der Geschwister. Chess, die kleine Schwester, verfügt über geheimnisvolle Kräfte, die sie selbst erst kennenlernen muss. Splinter, der die Anführerrolle im Trio innehat, ist ein zwiespältiger Charakter. Er fühlt sich verantwortlich, doch er verlangt nach Macht und verachtet Schwäche. Box, sein Zwillingsbruder, ist eine Kämpfernatur. Mag die Lage noch so aussichtslos sein, er verliert nie den Mut und auch nicht das Mitgefühl. Im Lauf der Geschichte werden die Geschwister getrennt und müssen ihren eigenen Weg durch das Chaos finden.
Im kunterbunten Kosmos der Gestalten gibt es keinerlei Schablonen – Wesen, Welten und Erscheinungen sind so viel­schichtig, dass man nie sicher sein kann, auf welcher Seite man sich gerade befindet. Die einzige Orientierung, was gut ist oder zu sein scheint, findet sich nur tief im eigenen Innern. Da, wo man selbst unterscheiden lernt: Ist der Impuls, der meinen Willen beseelt, liebevoll, freiheitlich, schöpferisch aufbauend – oder handle ich aus zerstörerischen Antrieben von Angst, Machtlust, Zorn? – Dies unterscheiden zu lernen ist eine Schlüsselqualifikation der Zukunft. Insofern spielen die Romane jetzt. Wir sind mittendrin. Kinder und Jugendliche finden keinen Halt mehr in der Außen­wirklichkeit. Auf der einen Seite herrscht die Beliebigkeit aller möglichen Haltungen und Impulse, auf der anderen der Auto­matismus, das Diktat der Sachzwänge – wie man zu sein hat, wenn man nicht scheitern will.
The Bad Tuesdays kann (und will) uns die Härte nicht ersparen, in der wir bereits leben, die Wirklichkeit, welche Jugendliche heute vorfinden. Streckenweise scheinen Handlung und Sprache der Romane allzu brutal. Aber das scheint nur so auf den ersten Blick. Im Verlauf spürt man die versöhnende Kraft der Urbildlichkeit. Es ist, als würde man einen Roman von Charles Dickens lesen, der in der technologischen Zukunft spielt. Nichts für zartbesaitete Gemüter, aber für begeisterte Leser, die eigene Phantasie mit­bringen. Die sich einlassen können auf die Schrecken und Schmerzen von Liebe und Leid, auf alle Gefahren, welche die Seele durchmachen muss, auf dem Weg der Selbstentwicklung. Gerade darum geht es ja im Leben der Heranwachsenden. Und in unserem!?

von Ute Hallaschka