Das Naturgeschehen im Monat November verbirgt einen tiefen Gegensatz in sich. Nach außen hat die Natur das Leben zum Ersterben gebracht. Es ist nicht nur die äußere Kälte, es sind auch innere Kräfte im Leben selber, die zur Entkörperung der Lebenskräfte und zum Fallenlassen der vorher belebten Stoffe in das Ersterben hintendieren. Dadurch gelangen diese Kräfte und Stoffe zur Verwesung. Aber auch das Licht und die Farben im meteorologischen Umkreis der Erde empfangen eine Art Sterbeimpuls, indem auch das Licht in sich selber zerfällt und an manchen Novembertagen den Charakter von Asche annimmt, was doch auch wiederum nicht nur an der Dichte der Wassertropfen in Nebel und Wolken liegt, sondern auch am Licht selbst, das auch an klaren Novembertagen in ganz feiner Weise diesen Prozess des Zerfallens in sich selbst offenbart. Der November ist also von Todeskräften durchzogen.
Diese Todeskräfte führen zur Verwesung und damit zum Übergang der geordneten lebendigen Stoffe in chaotische Zustände. Bereits in diese Verwesungsprozesse hinein beginnen viele Pflanzen zu keimen, zu wurzeln, ja sogar zu sprossen. Es findet ein vorwinterliches Keimen und Wachsen in der Novembernatur statt. Und darin besteht der innere Gegensatz: dass mitten hinein in das Absterbende bereits das wieder Auflebende eingewoben ist.
Trotzdem kann man im November nicht von Frühling sprechen. Was hier im November in der Zurückgezogenheit geschieht, gewissermaßen unter der Hülle der Todesdecke, durchbricht ja dieselbe erst im Frühling und tritt dann heraus in den Vordergrund. Der im November verborgene Frühling ist also gewissermaßen, wenn auch sehr real, so doch auch wieder eine Art «theoretische» Vorausnahme – man konnte sagen: «prinzipielle» Vorausnahme – dessen, was erst im Frühling volle Realität wird. Dieser «Novemberfrühling» muss geduldig warten, bis der Winter über ihn hinweg und durch ihn hindurchgezogen ist, bevor er als echter Frühling im Frühjahr voll anwesend sein kann. Viele Pflanzen, die im Herbst keimen, brauchen geradezu die winterlichen Prozesse, um im nächsten Frühjahr richtig zu wachsen (man nennt das «Jarovisation»). Was also schon angekeimt ist, muss noch einmal ganz in die winterliche Stille sich zurückziehen. Die Prozesse müssen in gewissem Sinne eine Art verdichteten Stillstand durchmachen, bevor sie im Frühling voll wieder in Gang kommen. Man hat demnach den Prozess von Keimung, Wurzelung und anfänglichem Sprossen – sodann geduldigen Stillstand – und schließlich den eigentlichen Durchbruch zu Frühling und Sommer. Man könnte in übertragenem Sinn sagen: Der im November aufkeimende Frühling braucht eine Zeit der Selbstbesinnung in Gestalt der winterlichen Dunkelheit und Tiefe, bevor er Erscheinung werden kann.
Wenn sich so etwas im Menschen vollzieht, kann auch im seelisch-geistigen Leben neu Angelegtes keimen und impulsieren und durch geduldige Wartezustände hindurchgetragen werden, was beim Menschen erst zum wahren Verständnis dessen führt, was er da in sich selber durchmacht. Erst aus solcher Einsicht kann die wahre Weiterbildung erfolgen. Von hier aus wird der Tugendspruch für November verständlich: Geduld wird zur Einsicht.
Etwas davon spricht unsere Turmalinscheibe aus durch die Art, wie das Hell-Dunkel und die Farbprozesse ganz zart ineinander übergehen und das Hell und das Dunkel so ineinander verwoben werden, dass die geduldige und fromme Farbe des Violett durch alles durchschimmert.