Solange sie gesund und vital sind, empfinden die meisten Menschen diesen Zustand als völlig normal. Sie haben schließlich keine Beschwerden und können tun und lassen, was sie wollen, ohne dass sie ihr Körper daran hindert. Und wenn sie mal so richtig erschöpft sind, wissen sie, woher es kommt. Sobald sie den fehlenden Schlaf nachgeholt oder sich am Wochenende ausgeruht haben, reguliert sich alles wieder von selbst.
Vor allem wenn wir jung sind, halten wir uns gerne für unverwüstlich. Wenn wir nicht aufpassen, geben wir uns der Illusion hin, wir könnten uns alles zumuten. Obwohl wir wissen, dass auch
uns etwas zustoßen kann, dass auch wir krank werden können: Wir leben, als wären unsere Lebenskraft und unsere Vitalität unendlich.
Erst wenn es doch einmal irgendwo hapert, wenn Krankheit und Übermüdung länger als ein paar Tage zuschlagen, ändert sich das Bild: Gesundheit und Vitalität sind plötzlich keine Selbstverständlichkeiten mehr, sie werden zu heiß begehrten Schätzen.
Wir suchen danach, wie wir wieder die oder der «Alte» werden können, und ändern manches an unserer Lebensweise. Vielleicht machen wir uns auch Sorgen. Auch ein Kranker in unserer Umgebung oder ein Kollege mit Burn-out kann Anlass sein, sich klarzumachen, dass Vitalität nichts Selbstverständliches ist.
Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus wollen bei allem möglichst eine hundertprozentige Perfektion erreichen. Das Unangenehme daran ist, dass es ihnen dadurch meist nicht gelingt, alle Aufgaben zu bewältigen. Auch können sie nicht immer unterscheiden, ob etwas wirklich wichtig ist oder eher zweitrangig. Oft versuche ich ihnen zu vermitteln, dass in den meisten Fällen – beispielsweise bei Entwürfen oder internen Präsentationen – eine 80-prozentige Leistung mehr als genug ist. Die letzten 20 Prozent erfordern gewöhnlich unverhältnismäßig viel Zeit und Energie. Wir erweisen uns selbst (und anderen) einen großen Gefallen, wenn wir wissen, wann 100 Prozent Leistung erforderlich sind und wann 80 Prozent genügen.
Mit anderen Worten: In derselben Zeit, in der wir drei Aufgaben mit 80-prozentiger Leistung bewältigen, können wir zwei zu 100 Prozent erledigen. Die uns zur Verfügung stehende Zeit ist eben begrenzt. Wann sind wir also effizienter: Wenn wir immer mit voller Energie leuchten oder wenn wir die Größe unserer Flamme variieren?
Gesundheit mag zwar die Grundlage der Vitalität sein, doch sie ist auch nicht mehr als das. Über unsere Ausstrahlung und Vitalität entscheidet letztlich die Frage, ob wir unseren eigenen Kurs gefunden haben. Meine Erfahrung zeigt, dass vitale Menschen fast ausnahmslos wissen, was sie wollen, danach handeln und dazu stehen.
Wir können uns die Bedeutung des «Kurshaltens» am Skilanglauf klarmachen: Bereits ein kleines Ausscheren aus der Loipe kostet sehr viel Energie. Ähnliches gilt für das Laufen: Es ist herrlich, sich im eigenen Rhythmus zu bewegen, doch wenn man angetrieben oder gebremst wird, kann dies sehr ermüdend sein. Etwa wenn man in großer Eile einen Zug erreichen muss, aber auch, wenn man mit anderen beim Schlendern durch die Stadt oder durch ein Museum zu einer langsameren Gangart gezwungen wird.
Die wichtigste Voraussetzung für Vitalität liegt also im Erkennen, Finden und Folgen des eigenen Kurses. Dabei gilt: Jeder Mensch hat seinen jeweils eigenen Kurs!
Gesund leben ist die zweite Voraussetzung. Übrigens verstärkt sich beides gegenseitig: Wenn es gelingt, dem eigenen Kurs zu folgen, fällt es meistens leichter, gesund zu leben. Umgekehrt macht es eine gesunde Lebensweise leichter, den eigenen Kurs zu finden.