«An einem Tag im Frühling war ein junges Mädchen in Paris drauf und dran, sich in die Seine zu stürzen, ein schmächtiges, unbeholfenes Ding mit breitem Mund und kurzgeschnittenem schwarzem Haar …»
So beginnt Paul Gallicos Roman Die Liebe der kleinen Mouche, so trist und trostlos wird uns die Heldin des Buches vorgestellt. Man erfährt, dass die zweiundzwanzigjährige Mouche erst vor einiger Zeit aus der Bretagne nach Paris gekommen war, um in der Stadt «ihr Glück beim Theater zu finden» – offensichtlich ohne Erfolg.
Interessant an Gallicos erstem Satz ist, dass uns die Szene nicht etwa in einer verschneiten, finsteren Atmosphäre präsentiert wird, es regnet nicht einmal, sodass wir uns Mouche mit tropfendem Haar und durchnässten Kleidern an einem Brückengeländer vorstellen müssten. Es ist Frühling, und dies lässt uns schon ahnen, dass sich im Lauf der Geschichte etwas entwickeln wird, das mit einem Neubeginn zu tun hat.
Szenenwechsel. Zur gleichen Zeit befindet sich der Puppenspieler Michel Peyrot, alias Capitaine Coq, in der Stadt. Peyrot baut sein Theater mal hier, mal dort auf, hält es selten lange am gleichen Ort aus und lässt seine Puppen tanzen, wo sein rastloses Leben ihn gerade hinführt.
«Hallo, du da mit dem Koffer! Wohin gehst du – und warum so eilig? Es ist kalt unten im Fluss, Kleine, und Aale und Neunaugen fressen dein Fleisch. – Mouche hielt erschrocken und bestürzt inne, denn die schrille kleine Stimme wandte sich offensichtlich an sie …»
Was Mouche zunächst für Zauberei hält, ist nichts weiter als die Zusammenführung der beiden Getriebenen, Mouche und Michel. Doch Michel selbst taucht zunächst gar nicht auf, es sind seine Puppen, die die junge Frau ansprechen und vom Sprung in die Seine abhalten. Und nicht nur das: Sie laden sie ein, sich dem fahrenden Betrieb anzuschließen und Teil der Familie zu werden, die aus den sieben Handpuppen und dem Mann hinter der Kulisse besteht.
Der Charme der Puppen überzeugt Mouche – nicht zuletzt, weil sie hinter der Herzlichkeit der Figuren einen Mann vermutet, der ihr seine Hand hilfreich anbieten wird, sobald er die Figuren abgestreift hat.
Ganz so leicht macht das Leben es ihr dann doch nicht, denn schnell zeigt sich, dass Michel nicht zufällig die Unsichtbarkeit desjenigen gewählt hat, der zwar die sprichwörtlichen Fäden in der Hand hält, sein Gesicht aber nicht zeigen muss.
Das bekommt Mouche zu spüren – vor allem dann, wenn sie hinter die Kulissen schauen möchte, denn Michel hat seine Gründe dafür, sich hinter «Capitaine Coq» zu verbergen.
Es kostet Mouche nicht wenig Mühe, den Puppenspieler dazu zu bringen, nach und nach seine Maske abzulegen und sich als Michel der jungen Frau gegenüber zu öffnen.
Die Liebe der kleinen Mouche gilt als Paul Gallicos sensibelstes Buch. Gallico, als Sohn einer Österreicherin und eines Italieners in New York geboren, kannte die innere Unruhe und Rastlosigkeit seines Puppenspielers selbst sehr gut, was erklärt, warum dieser Charakter mit seinen scheinbar unergründlichen Tiefen so authentisch und überzeugend ist. Und Mouche? In ihr finden wir die literarische Figur der reinen Seele, die die Fähigkeit besitzt, «das Böse gut zu lieben», wie Christian Morgenstern es in einem Aphorismus ausdrückt.
Gallicos Geschichte von Mouche und Michel zeigt vor allem eines: Das Glück lässt sich nicht immer auf dem direktesten und einfachsten Weg finden. Und sie zeigt uns, dass es sich durchaus lohnen kann, den einen oder anderen Umweg in Kauf zu nehmen.