Weglaufen ist nicht immer Weglaufen. Einen Ausweg zu finden etwas anderes als bloße Flucht. Im Fall von Cheryl Strayed hat dieser Ausweg eine Distanz von gut 1770 km. Von Schicksalsschlägen wie am Boden zerstört, fasst die junge Frau den Entschluss, sich alleine auf einen der längsten und anspruchsvollsten Fernwege der USA zu machen: den Pacific Crest Trail, der im Westen der USA von der mexikanischen Grenze bis nach Kanada verläuft. Völlig unbedarft mit einem viel zu großen, viel zu schweren Rucksack auf den Schultern macht sie sich auf den Weg. Schon auf den ersten Metern in der sengenden Hitze der kalifornische Mojave-Wüste kreist ihr die Ausstiegsoption wie ein Mantra im Kopf: «Du kannst jederzeit aufhören, du kannst jederzeit aufhören …». Aber sie richtet die Gedanken auf ihr Ziel. Eine Brücke, die sich zwischen Oregon und Washington über den Columbia-River spannt, will sie erreichen – die «Brücke der Götter». Bis dort sind es noch über tausend Meilen. Und bis dort wird sie ein Erfolgsrezept verinnerlicht haben: einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das Buch, das Cheryl Strayed über ihren Weg geschrieben hat, wurde in den USA zum Bestseller und ist nun verfilmt worden.
Der Film ist nah dran an der Wanderin, die überzeugend von Reese Witherspoon verkörpert wird. So nah, dass die erhabene Schönheit der Landschaften, durch die sie kommt, hinter den Eindrücken der Schmerzen zurücktritt, die sie ebenso durchläuft: die fassbaren Schmerzen – wund geriebene Schultern und blutige Füße – und die unfassbaren Schmerzen im Inneren ihrer Seele. Es ist vor allem der frühe und plötzliche Tod ihrer Mutter, an dem sie trägt. Aber auch die Schuldgefühle lasten schwer, die sich an ihr Leben nach diesem Verlust knüpfen, als sie ihre Ehe zerbricht, zum Heroin greift, sich mit zahlreichen Männern einlässt, schwanger wird und abtreibt. So wie die Bilder dieser Zeit in der Einsamkeit des Wanderns immer wieder in ihr aufsteigen, so verfolgt auch der Film in Rückblenden Cheryls Vergangenheit. Aber auch die Gegenwart hat ihren Platz. Begegnungen mit Menschen und Tieren holen sie zurück ins Jetzt – mal auf bedrohliche, mal auf heilsame Weise.
Sie läuft über Gipfel, durch Täler, Flüsse, Wüsten und Wälder. Ihr Keuchen, Schluchzen und Stöhnen – sei es aus Schmerz oder aus Lust – zieht sich durch den gesamten Film. Immer wieder erlöst jedoch ein Soundtrack aus neuem und altem amerikanischen Folk die Ohren, der eigentümlich schön mit der Landschaft zusammenklingt und auf gewisse Weise eine heilsame Stille erzeugt. Eine Stille, wie sie auch Cheryl mehr und mehr findet. Sie läuft in ein Ruhigerwerden hinein. Sie läuft und läuft, bis die Bilder der Vergangenheit allmählich eine andere Gestalt annehmen und sich das Versinken darin in ein Draufblicken wandelt, das ihr ein Ordnen ermöglicht.
Nach sechsundneunzig Tagen kommt sie zwei Tage vor ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag ans Ziel. Da steht sie dann mit fünfzehn Kilo Körpergewicht und einigen Fußnägeln weniger auf der «Brücke der Götter» und ist ihrem Schicksal plötzlich dankbar dafür, dass es sie an diesen Punkt geführt hat.
Da, wo der Film endet, beginnt Cheryl Strayeds Leben gewissermaßen neu. Neun Tage später trifft sie einen Mann, in den sie sich verliebt, den sie heiratet und mit dem sie zwei Kinder bekommt. Heute, gut zwanzig Jahre später, strahlt sie bei Lesungen und Interviews ein ruhiges Bei-sich-Sein aus, von dem sie sagt, sie habe es durch ihren Weg bekommen. Das Happy End scheint diesmal keine Erfindung Hollywoods zu sein.
2-fach Oscar®-nominiert: Reese Witherspoon als beste Hauptdarstellerin, Laura Dern als beste Nebendarstellerin!