Ich beobachte mich manchmal dabei, wie ich vor lauter Tatendrang nicht weiß, was ich tun soll. In schlechten Momenten tue ich dann irgendwas, was eigentlich Unsinn ist, für den tatenerwartenden Menschen jedoch absolut unausweichlich erscheint. In guten Momenten tue ich nichts oder greife zu einem Buch, erwische einen Satireband von Heinrich Böll, schlage ihn auf und treffe auf die Kurzgeschichte Es wird etwas geschehen (1954).
Der Ich-Erzähler, «mehr dem Nachdenken und dem Nichtstun zugeneigt als der Arbeit», sieht sich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten gezwungen, in Herrn Wunsiedels Fabrik im Büro zu arbeiten. Besonders beeindruckt ihn sein Chef, dem jegliches Nichtstun zuwider ist: «Die belangloseste Tätigkeit sah bei Wunsiedel wie eine Handlung aus: wie er den Hut aufsetzte, wie er – bebend vor Energie – den Mantel zuknöpfte, der Kuss, den er seiner Frau gab, alles war Tat. Wenn er sein Büro betrat, rief er seiner Sekretärin als Gruß zu: ‹Es muss etwas geschehen!› Und diese rief frohen Mutes: ‹Es wird etwas geschehen!› Wunsiedel ging dann von Abteilung zu Abteilung, rief sein fröhliches: ‹Es muss etwas geschehen!› Alle antworteten: ‹Es wird etwas geschehen!› Und auch ich rief ihm, wenn er mein Zimmer betrat, strahlend zu: ‹Es wird etwas geschehen!›» Natürlich geschieht in dieser «handlungsstarken Geschichte» (so der Untertitel) nichts Gutes, denn die Tatenversessenheit Herrn Wunsiedels zwingt ihn alsbald zum Nichtstun.
Wer sich Wunsiedels Leiden vor Augen führt, findet sich auf der Suche nach Ursachen schnell beim französischen Arzt und Sozialisten Paul Lafargue wieder, der in seiner Schrift Das Recht auf Faulheit schon 1883 diagnostiziert: «Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende Arbeitssucht, getrieben bis zur Erschöpfung der Lebensenergie des Einzelnen und seiner Nachkommen.»
Woran leide ich, wenn ich es nicht aushalte, nichts zu tun? Ich leide an einer Zwangsstörung. Aufgaben, die wichtig sind, lassen mich frei, sie zu ergreifen. Bewahre ich mir diese Freiheit auch während des Tuns, handle ich frei. Nimmt mich jedoch die Handlung gefangen, da ich mich plötzlich zu ihr genötigt sehe, oder setzt sich gar der Erledigungsmodus fort, ohne dass es etwas zu tun gibt, dann werde ich zum blinden Arbeitsfanatiker, der nichts gut sein lassen kann.
Womit wir bei einer entscheidenden Fähigkeit wären: Wer frei sein will, muss faul sein können. Wer frei sein will, muss es aushalten, nichts zu tun und das Nichtstun nicht sogleich wieder zu verzwecken. Doch machen wir uns keine Illusionen: Die Angst vor allgemeiner Faulheit ist vollkommen unbegründet. Faulheit ist nicht mehrheitsfähig. Sie ist eine hohe Kunst der Absichtslosigkeit, die wir seit Jahrhunderten verlernen.
«In der Tat, man sollte das Studium des Müßiggangs nicht so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion bilden!», schreibt Friedrich Schlegel in seiner Idylle über den Müßiggang (1799). Das wirft auch ein interessantes Licht auf die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens: Derzeit subventionieren wir Fleiß auf allen Ebenen, während wir Faulheit verdammen. Das Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit, die Faulheitsdiskriminierung zu stoppen und Faulheit dem Fleiß gleichberechtigt gegenüberzustellen. Eine Emanzipation der Faulheit könnte dazu führen, dass wir ein besseres Gleichgewicht zwischen Fleiß und Faulheit finden und uns von sinnlosen Zwangshandlungen befreien.