Jede Jahreszeit hat ihre eigene Stimmung, im Winter denkt, fühlt und handelt man anders als im Sommer. Vieles gehen wir besonnener an, und wenn wir uns bemühen, kann uns nicht einmal der Trubel der Weihnachtstage aus der Ruhe bringen.
Vor 90 Jahren, am 1. Dezember 1925, wurden die Verträge von Locarno unterzeichnet, mit denen die Beziehungen zwischen Deutschland und den Siegermächten normalisiert werden sollten. Österreich-Ungarns Kriegserklärung, mit der der Erste Weltkrieg begonnen hatte, fand dagegen im Sommer statt, am 28. Juli 1914.
Dass der Jahreswechsel, zu dem man ja gern über Vergangenes resümiert und Zukünftiges plant, im Winter stattfindet, ist wahrscheinlich ein großes Glück.
Finden wir in der winterlichen Welt etwas, das mit Geburtsgeschehnissen, mit der Entstehung von Neuem zu tun haben könnte? Betrachten wir den Himmel und die Lichtstimmung tagsüber sowie den Sternenhimmel in der Nacht, oder wenden wir uns der Gestalt der winterlichen Erde zu, den Feldern und Wäldern und den Formen der Gebirge, dann bemerken wir: Äußerlich ist die Erde zur Ruhe gekommen und hat möglicherweise eine Schnee- und Eisdecke um sich gebildet. Es ist kalt. Was aber vollzieht sich – für unser äußeres Auge unsichtbar – im Innern der Erde?
Seit die Pflanzenwelt im Herbst abgestorben ist, liegen in der winterlichen Erde eine Überfülle von Samenkörnern. Sie entwickeln dort ungeheure verlebendigende Aktivitäten und bereiten sich zu neuem Leben, zu Blüte und Wachstum im nächsten Frühling vor. Äußerlich werden die Tage kürzer, es wird früher dunkel. Innerlich betrachtet, befindet sich die Erde aber in dieser Zeit in einem hellen ätherischen Licht. Licht und Lebenskräfte sind jetzt in Überfülle im Erdinneren vorhanden. Die Erde begibt sich in dieser Zeit in ein Stadium des Empfangens und des Mütterlich-Werdens.
Schauen Sie einmal zum Himmel und versuchen, in der Advents- und Weihnachtszeit die Sonnenaufgänge und -untergänge zu beobachten. Ein feines, empfindliches Wechselspiel von Morgen- und Abenddämmerung vollzieht sich da von Mitte Dezember an über einen Zeitraum von vier Wochen, in dessen Mitte die Weihnachtszeit liegt.
Die Sonnenauf- und -untergänge bewegen sich keineswegs gleichmäßig linear und symmetrisch. Bis Mitte Dezember können wir die frühesten Untergänge beobachten. Vom 18. Dezember an bleibt es täglich wieder um eine Minute länger hell. Am Morgen wird es hingegen immer noch dunkler. Der Wendepunkt am Morgen liegt erst zwischen dem 4. und 6. Januar. Demnach ist die Wintersonnenwende nicht nur auf einen einzigen Tag begrenzt.
Indem das Licht des alten Jahres allmählich verdämmert, beginnt fast gleichzeitig ein neues Licht aus der Dunkelheit aufzugehen – zuerst am Abend, dann auch am Morgen. Wir bemerken also eine Neugeburt des Lichts, welche uns in den neuen Jahreslauf hineingeleitet.
«Im Parterre der hart gewordenen Erde wirken die formenden Kräfte zwar auch, aber langsam, still, verborgen. Auf der Wolken-Himmelsbühne werden sie großartig offenbar«, wie Kurt von Wistinghausen es ausdrückt.
Wie weit sind Sie mit Ihren Vorsätzen oder auch nur Ideen für das bald beginnende neue Jahr? Eine Idee könnte zum Beispiel sein, die Jahreszeiten und ihre Feste bewusst zu erleben. Und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Übergänge zu legen.