Als der Mensch vom Baum der Erkenntnis des Bösen und des Guten genossen hatte und des Paradieses verwiesen wurde, bestellte Gott der Herr den Cherub mit dem bloßen Flammenschwert, dem Menschen den Eingang zu verwehren. Seitdem muss der Mensch im Schweiß seines Angesichts sein Brot essen, «Bis das du wider zu Erden werdest / da von du genomen bist / Denn du bist Erden / vnd solt zu Erden werden» (I. Buch Mose III,19 nach Martin Luther, Die gantze Heilige Schrift. Deudsch 1545), da der Weg zum Baum des Lebens ihm versperrt ist.
Erst im aufdämmernden Bewusstsein dieses Ausgeworfenseins des Menschen scheint das Wort «Erlösung» seinen angemessenen Zusammenhang gefunden zu haben. Immer wieder muss der Mensch diesen Weg von Staub zu Staub durchwandeln, bis er vom wachenden, ernsten Hüter-Engel zurückgerufen wird. Und erst dann – nach wie vielen Schritten der Wandlung und der Reife? – darf er vom Baum des ewigen Lebens essen.
«Mut wird zu Erlöserkraft», notierte Rudolf Steiner lapidar (abgedruckt in seinen Anweisungen für eine esoterische Schulung). Mut muss der Mensch entwickeln, um in den himmlischen Garten wieder eintreten zu dürfen. – Wie ist das zu verstehen?
Ich stelle mir ein neugeborenes Kind vor. Welche Kraft muss eigentlich in dem Kind vorhanden sein, damit es sein grenzenloses Ausgeliefertsein an seine Mitmenschen in Frieden hinnehmen kann? Wäre das Kind mit dem späteren Bewusstsein des Erwachsenen begabt, müsste es mit etwas wie grenzenlosem Mut erfüllt sein. Dieser hilflosen, aber unendlich vertrauenden Hingabe des Kindes bringen die drei Könige ihre Gaben dar:
– die aufrichtende Kraft der Myrrhe,
– die mitteilende Wärme des Weihrauchs,
– das erleuchtende Licht des Goldes.
Durch das Vertrauen wird es begabt mit den drei Grundfähigkeiten des Menschen: des Sich-Aufrichtens, des Sprechens und des Denkens.
Dieser Blick auf das neugeborene und heranwachsende kleine Kind lässt erst wirklich ermessen, wie unerschütterlich der Mut noch werden muss, um die Erlöserkraft wachsen zu lassen, die notwendig ist, um an dem mit flammendem Schwert abweisenden Cherub vorbeizukommen.
Eine «hohe Schule des Mutes» könnte die gelebte Anthroposophie für den Menschen werden, äußerte einmal Rudolf Steiner (in einer Jugendansprache in Arnheim am 20. Juli 1924).
Was das Kind an grenzenlosem Vertrauen seiner menschlichen Umwelt gegenüber darlebt, wandelt sich im sich selbst ergreifenden und seine Angst überwindenden Menschen in Mut.
Wie im kleinen Kind dem heranwachsenden Erdenmenschen drei Begabungen nachgereicht werden, muss der an dem Flammenschwert-führenden Engel vorbeidringen wollende Mensch drei Gaben dem in ihm neu entstehenden Himmelsmenschen vorreichen:
– das Gold seines mit dem Weltensein zusammenwachsenden Ich,
– den Weihrauch seiner mit den Geisteszielen lebenden Seele,
– die Myrrhe seines im Tun Gottes wurzelnden Geistes.
Im Wort des dem Menschen voranschreitenden und mit ihm einswerdenden Christus, «Wahrlich ich sage euch / Es sey denn / das jr euch vmbkeret / vnd werdet wie die Kinder / so werdet jr nicht ins Himmelreich komen» (Matteus XVIII,5), lässt sich erleben:
Mut wird zu Erlöserkraft.