Der Islam ist – wie das Christentum und jede andere «Religion» – nicht nur Glaubensgemeinschaft, Weltanschauung, religiöse Praxis, Gesetzeskodex, Spiritualität, sondern vor allem auch Kulturtatsache (in vielen Variationen), und vieles, was von außen wie Islam aussieht, ist in Wahrheit viel eher ethnisches Erbe oder Tradition.
Wir vergleichen insofern oft Äpfel und Birnen. Der muslimische Hardliner sieht die Dekadenz des christlichen Abendlandes und freut sich über seine reine Lehre und die Tugendhaftigkeit der gut angepassten und streng erzogenen muslimischen Jugend, wo er sie noch findet. Andererseits sind es gerade Menschen mit muslimischen Wurzeln, die nach eher schwierigen Erfahrungen in ihrer Herkunftskultur den Islam als rückständig, unbelehrbar, gewalttätig und gefährlich darstellen – was dann wieder so manchen abendländischen Islamkritiker erfreut. Haben wir nicht so etwas auch schon von Ex-Katholiken oder Ex-Zeugen Jehovas gehört, die ganz Ähnliches über ihre Gebräuche zu sagen wichtig finden? Wie gut können wir das als eine notwendige Abgrenzung von Verletzungen und Übergriffen verstehen, und doch gibt es in diesen Gemeinschaften daneben auch ganz andere Erlebnisschichten, die zu völlig anderen Erfahrungen führen.
Was wir zu hören bekommen, hängt davon ab, wen wir fragen, und durch die Auswahl unserer Gesprächspartner bestimmen wir oft auch selbst, was wir gern hören wollen, um unsere Vorurteile zu bestätigen.
So wird man mitunter auch beschuldigt, egal, wie man über den Islam spricht, man kenne eben gerade die falschen Muslime – entweder nur die rückständigen oder nur die progressiven. Diese (egal welche) seien eben gar keine richtigen Muslime … Das wahre Gesicht zeige der Islam doch nur bei jenen, deren Auftreten (egal, ob positiv oder negativ) die Meinung der jeweiligen Gesprächspartner bestätigt.
Dasselbe gilt auch umgekehrt. Wer im muslimischen Kulturkreis eine feste Meinung zu den «Ungläubigen» hat, sieht nur die negativen Seiten der westlichen Gesellschaft. Wer den Westen dagegen idealisiert, findet Raubtierkapitalismus, Kriminalität und Drogensucht ganz und gar untypisch für eine wirklich christliche Gesellschaft … Das seien nur Auswüchse, die schnellstens behoben werden könnten und mit dem Christentum nichts zu tun hätten!
Wie wahr – aber wie wahr ist es eben auch, dass die Auswüchse des Islamismus nichts mit dem wohlverstandenen Islam zu tun haben, der vielleicht, wie Christian Morgenstern es für das Christentum sagt, auch erst am Anfang steht und nicht am Ende.
Es gibt in allen Menschheitsströmungen Fundamentalisten, Traditionalisten, Gleichgültige, Säkulare, rein kulturell geprägte Agnostiker mit dennoch starkem Zugehörigkeitsgefühl, oder auch tief spirituelle Menschen, treu gläubig Praktizierende und mit innerer Unabhängigkeit nach Wahrheit Suchende. In Myanmar töteten sogar die angeblich durch und durch friedfertigen Buddhisten wehrlose Muslime. Aber das sind natürlich keine wirklichen Buddhisten …
Es gibt überall Widersprüchliches – Menschen, die keinen äußeren Formen folgen und doch sehr religiös sind, und solche, die ganz den überlieferten Traditionen huldigen, ohne zu wissen, was das überhaupt bewirken oder bedeuten soll. Das Leben ist sehr «bunt» geworden auf unserer ganzen Erde, auch das religiöse.