«Ich muss immer lachen über die verdutzten Gesichter der Fragesteller, wenn ich ihnen sagen muss, dass ich in meiner Jugend mit Puppen gar nichts im Sinn hatte.» So erzählt Käthe Kruse (1883 – 1968) in ihrer Autobiografie, und tatsächlich entstand die erste Idee, sich mit Puppen zu beschäftigen, erst Weihnachten 1905. Käthe Kruse war 22 Jahre alt, und ihre erste Tochter Maria wünschte sich sehnlich eine Puppe. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie am Monte Verità im Tessin. Das heißt: Die Mutter lebte dort mit ihren beiden Töchtern, da der Vater der Kinder, der Bildhauer Max Kruse, sein geliebtes Berlin aus verschiedenen Gründen – beruflichen und weniger ehrenhaften – nicht verlassen wollte. Mutter und Töchter dagegen sollten nah an der Natur leben, und so sorgte er dafür, dass sie in der Künstlerkolonie in der Nähe Asconas unterkamen. Als er die Bitte, der Tochter aus Berlin zu Weihnachten eine Puppe zu schicken, mit den Worten «Ick koof euch keene Puppen, ick find se scheußlich. Macht euch selber welche!» beantwortete, nahm die junge Mutter ein Handtuch, eine Kartoffel und warmen Sand. Ein paar Knoten genügten, und schon hatte Maria selbst «ein Kind zum Liebhaben», denn darum ging es ihr: Die Puppe sollte ein Kind für das Kind werden.
Was dann geschah, gleicht zumindest teilweise einem Märchen: Fünf Jahre später wurden einige ihrer Puppen im Rahmen einer Ausstellung «Spielzeug aus eigener Hand» in Berlin gezeigt, und nur ein Jahr darauf erhielt sie aus Amerika völlig überraschend eine Bestellung über «150 Käthe-Kruse-Puppen». Von diesem Moment an war sie vor die Frage gestellt: Wie kann ich so viele Puppen herstellen, ohne dass ihnen der individuelle Charakter verlorengeht? Über eine maschinelle Produktion wollte sie gar nicht erst nachdenken, die Qualität jeder einzelnen Puppe wollte sie immer persönlich überprüfen. Also suchte sie nach Näherinnen und einem Kunstmaler, der ihr die Gesichter zeichnete. Und als bald darauf eine Bestellung über 500 Puppen einging, wusste sie, dass etwas Großes begann.
Wieder verließ sie Berlin – die weite Welt, in die sie erst wenige Jahre zuvor aus Breslau aufgebrochen war, um eine Karriere als Schauspielerin zu beginnen – und begründete ihre Produktionsstätte in Bad Kosen an der Saale, gut 200 Kilometer südlich der Hauptstadt. Auch hier wurden alle ihre Puppen in Handarbeit angefertigt, obwohl sich ihre Kundschaft schon bald weit über die deutschen Grenzen hinaus ausdehnen sollte. Immer sollte sie ihrem Prinzip treu bleiben: «Handarbeit! Ich bin von diesem Prinzip nie abgegangen. Die Hand geht dem Herzen nach. Nur die Hand kann erzeugen, was durch die Hand wieder zum Herzen geht.»
Aus diesem Erfolg ergab sich für sie zweierlei: Da war zum einen die Möglichkeit, mit ihren Schöpfungen viele Kinder glücklich zu machen – glücklicher, als sie es in ihrer eigenen Kindheit in ärmlichen Verhältnissen gewesen ist. Zudem erschien aber auch die Perspektive am Horizont, eine bedeutende Geschäftsfrau zu werden. Schnell wurde ihr bewusst, dass dies nicht ohne Opfer möglich wäre. Sie selbst hatte darin bereits eine jahrelange Übung, denn auch wenn sie ihm bis an ihr Lebensende für den ersten Impuls zum Puppenbau dankbar bleiben sollte, forderte ihr Mann Max Kruse ihr viele Kompromisse in Bezug auf ein gemeinsames Leben ab. Eine Opferbereitschaft, die sie nun auch von ihren sieben Kindern verlangte, ohne die der Betrieb nicht hätte aufrechterhalten bleiben können. Als nach der Gründung der DDR die Arbeit Schritt für Schritt schwieriger wurde, gründete die Familie zwei neue Standorte in Bad Pyrmont und Donauwörth, wohin Käthe Kruse 1954 selbst zog. Hier wird bis heute weiterproduziert, auch wenn der Betrieb inzwischen nicht mehr im Familienbesitz ist. An der Handarbeit hält man allerdings bis heute fest. Käthe Kruse starb vor 50 Jahren, am 19. Juli 1968 in Murnau.