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Alfons Limbrunner

Vom Schreibtisch zur Rettungsplattform

Nr 218 | Februar 2018

Mein Vater hatte besonderen Respekt vor zwei Kategorien von Menschen: vor Volljuristen, die nach dem Krieg die Rechtsprechung in Händen hielten, und vor belesenen Menschen mit Büchern im dunkel gebeizten Wohnzimmerschrank, meist mit Hausbar. Es gab wenig zu lesen, erbaulich Biblisches halt. Wozu also einen Schreibtisch?
Als Lehrling in einem Handwerks- und Industriebetrieb bekam ich einen Werktisch. Meine einzigen Schreibarbeiten waren Listen zum Brotzeitholen für die Werkstatt. Aber dann wurde ich Dauergast in der Straubinger Volksbibliothek und beendete meine glücklose Gesellen- und Vorarbeiterzeit.
Genau zu diesem Zeitpunkt wurde «für mich» der Studiengang Sozialarbeit und Sozial­pädagogik erfunden, der viel mit Büchern zu tun hatte: Psychologie, Sozio­logie, Pädagogik, Sozialpolitik – welch eine Freude! Zumal wir damals ohnehin davon überzeugt waren, dass nur wir Sozialarbeiter die Welt retten könnten. Mein Vater war zumindest von den Büchern begeistert, und vermutlich zählte er mich nun zu den «Belesenen». Er hat meinen Weg bedingungslos gefördert. Und so entwickelte ich halb­seidene akademische Essays und andere literarische Versatzstücke. Eine meiner Auf­gaben bestand über 70 Semester unter anderem darin, den Studenten immer um ein paar Bücher voraus zu sein, Durchblick zu schieben, ein paar hundert Diplomarbeiten zu beurteilen und ein wenig akademisches Namedropping zu betreiben.
Schon immer ist mein Schreibtisch ein Ort des Rückzugs, ein Fluchtpunkt, ein Alibi gewesen. Er hielt mir die Kinder vom Hals und täuschte Arbeit vor, nur um vor mich hinzuschauen und ungestört zu sein. Bestenfalls sinnierte ich über eine flottere Redewendung für einen kleinen Text. Bei einer sozialwissenschaftlichen Zeitschrift und bei Info3 – ganz unterschiedlichen Medien also – habe ich während meiner Tätigkeit als Hochschullehrer für Soziale Arbeit in Nürnberg das Schreiben gelernt und geübt.
Dabei ergab es sich, dass ich eine innere Haltung und einen Stil entwickeln konnte, mit dem ich trotz einiger Hürden und ge­legentlicher Skrupel in beiden Lagern gut zurechtkam. Geblieben ist eine fachliche, persönliche, vor allem aber zwischenmenschliche Bereicherung.
Aus dem elegant geformten Möbel ist eine immer noch ansehnliche Art Rettungsplattform geworden, ein richtiger Arbeitsplatz aus etlichen Quadratmetern leicht fleckigem Buchenholz. Vor mir der alte PC und die gerade notwendigen Bücher, der Duden und eine mit Blattgold bearbeitete Bildmontage, die daran erinnert, dass Karl Krolow gerade wieder jemanden Licht aus dem Fenster schütten und damit «die Rosen der Luft» zum Erblühen bringen lässt. Im Hintergrund überblickt eine 50 cm große Betonfigur namens «Heldin» den Ort des Geschehens.
Ort des Rückzugs und Fluchtpunkt ist dieses Stück Holz schon immer, seit ich vor über dreißig Jahren ernsthaft zu schreiben begann und mich daran wagte, tiefer verstehen zu wollen, was denn anthroposophische Sozialarbeit von dem unterscheidet, was ich normalerweise an der Hochschule lehrte. Es waren ja, so schien es, verschiedene Welten, die sich misstrauisch, aber auch neugierig beäugten, garniert und eingehüllt in Wort­girlanden und Zitate, die, na ja, zumindest seltsam klangen und die unsereins nicht wirklich verstand.
Es war immer mein Bestreben, in beiden Lagern versöhnlich zu leben, beide zusammenzubringen und einfache praktische Bodenhaftigkeit zu leben. Mir geht es um das Praktische in der Anthroposophie und nicht um das Abgehobene – um das ganz Konkrete.