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Monika Kiel-Hinrichsen

Familie im Fokus V

Nr 221 | Mai 2018

Wenn der Haussegen schief hängt

Lena knallt wütend die Tür hinter sich zu. Steffi hat sie schon wieder ermahnt, endlich ihr Zimmer aufzuräumen – ohne Erfolg! Jedes Mal, wenn sie es anspricht, reagiert die Vierzehnjährige wie von der Tarantel ge­stochen. Aber nicht nur das! Seit Neuestem ahmt die fünfjährige Mira das Türenknallen nach, wenn sie wütend auf ihren älteren Bruder Denis ist. Und Steffi? Sie mag ihre eigene schrille Stimme in solchen Momenten selbst nicht mehr hören. Sie fühlt sich überfordert und wird viel zu schnell laut und ärgerlich. Heute ist es eskaliert! «Du erstickst noch in deinem Müll!», schreit sie Lena an, die provokant die Augen verdreht. Das reizt Steffi nur noch mehr. Als dann auch noch Denis nach Hause kommt, seine Sportsachen einfach mitten im Flur liegen lässt und Mira aus ihrem gemeinsamen Zimmer schickt, ist für Steffi das Maß voll!
Am Abend kommt ihr Mann Leo müde von der Arbeit. Bereits beim ersten Schritt in die Wohnung spürt er die «dicke Luft». Steffi würdigt ihn keines Blickes. Dann weiß er, dass der Haussegen schief hängt und sie auch wütend auf ihn ist, weil sie die Konflikte daheim fast immer allein durchstehen muss. Darauf hat er aber gerade gar keine Lust! Seit Lena in der Pubertät ist, häufen sich die Streitereien in der Familie und es herrscht schnell eine angespannte Stimmung untereinander.
Leo muss an seine Kollegin denken, die ihm kürzlich von ihrer Familienkonferenz zu Hause erzählt hat. Er hat es zwar ein wenig belächelt, doch vielleicht wäre das jetzt genau das Richtige für sie!?
Nachdem Steffi und Leo sich mit der Kollegin und ihrem Mann ausgetauscht haben, planen sie ihre erste eigene Familienkonferenz für den Samstag.
Lena setzt sich widerwillig und skeptisch an den Tisch, Denis und Mira sind ein bisschen neugierig. Steffi und Leo eröffnen das Gespräch damit, dass sie unzufrieden mit der Stimmung zu Hause sind und gerne von den Kindern hören möchten, wie es ihnen geht. Lena ist überrascht, nicht sofort einen Vorwurf zu hören, denn damit hatte sie gerechnet. Sie beginnt sich zu entspannen: «Ich bin sauer, wenn Mama mir vorschreibt, wann ich mein Zimmer aufräumen soll und mich auch noch beleidigt. Sie kann mich erinnern, aber nicht beschimpfen, dann mache ich es nämlich erst recht nicht.» Denis nickt zustimmend. «Ich finde es peinlich, dass ich noch immer mit meiner kleinen Schwester das Zimmer teilen muss. Ich möchte endlich ein eigenes haben!» Mira streckt ihm die Zunge raus. Fast beginnt wieder ein Streit. Doch als Mira sagen darf, wie es ihr geht, wird sie ganz schnell friedlich. «Ich wünsche mir, dass Lena mal wieder mit mir spielt.» Lena verdreht erst die Augen, doch dann lenkt sie ein: «Was magst du denn spielen?» – «Schwarzer Peter!» Alle lachen. «Und ihr? Was wünscht ihr euch?», fragt Lena plötzlich. Damit haben Leo und Steffi gar nicht gerechnet. Beide über­legen. «Ich würde gerne mal wieder mit Papa ins Kino gehen – und dazu ist es wichtig, dass ich mich auf euch verlassen kann.» – «Und ich wünsche mir, mit Mama in die Sauna zu gehen.»
Steffi möchte eigentlich noch etwas zum Türenknallen sagen, aber sie wartet damit lieber bis zur nächsten Familienkonferenz. Sie haben heute einen guten Anfang gemacht, indem sie selbst in Ich-Botschaften gesprochen, ihren Kindern zugehört und sie ernst genommen haben. Und wer weiß, vielleicht ist das Türenknallen am kommenden Samstag gar kein Thema mehr …
An diesem Samstag jedenfalls herrscht eine ungewöhnlich fröhliche Stimmung im Haus. Aus Lenas Zimmer dringt laute Musik, die sie noch einmal mehr motiviert, ihr Zimmer aufzuräumen, während Mira bereits mit dem «Schwarzen Peter» vor der Tür wedelt.