Da sind wir wieder

Nr 222 | Juni 2018

Liebe Leserin, lieber Leser

«Wer auf etwas abfährt, findet immer Gleichgesinnte», bemerkt Fritz Senn in unserem Gespräch. Dreiundzwanzigjährig liest der Schweizer Student der englischsprachigen Literatur den fünfzehn Erzählungen umfassenden Band Dubliners des irischen Autors James Joyce. Doch nicht diese «Epiphanien», wie Anthony Burgess sie später bezeichnete, entfachen eine nun fast siebzig Jahre währende jugendliche Leidenschaft für die sprachlichen Schöpfungen des am 2. Februar 1882 in Dublin geborenen und im Zürcher Exil am 13. Januar 1941 verstorbenen Pioniers der literarischen Moderne, sondern der weit schwierigere, berühmt-berüchtigte 1922 erschienene Roman Ulysses und sogar das 1939 zuletzt veröffentlichte und von vielen als unlesbar eingeschätzte Werk Finnegans Wake.
«Joyce will stets das Ganze einer Sache», erklärt Anthony Burgess in seinem Versuch, Joyce für jedermann zugänglich zu machen, und fährt fort: «Seine Unfähigkeit, in Stephen der Held das Ganze eines heranwachsenden Lebens zusammen mit dem, wovon sich dieses Leben nährt, zu umspannen, lehrt ihn, sich mit kleineren Ganzheiten zu bescheiden – der Ganzheit eines Tages im Ulysses und der Ganzheit einer Nacht in Finnegans Wake.» Neben der fast grenzenlosen Bewunderung, die der Autor von A Clockwork Orange für James Joyce hegte, rief der Engländer, wie wir während unseres Gespräches mit Fritz Senn erfuhren, auch einmal fast verzweifelt nebenbei aus: «Joyce is a damned nuisance!» / «Joyce ist ein verdammtes Ärgernis!»
Besonders schätze er, der Schweizer, aber den Trost, den die tiefe Empathie des Iren dem Scheitern der Menschen entgegenbringe. Selbst in der melancholischen Resignation der Molly Bloom in ihrem langen Monolog am Ende des Ulysses – «here we are as bad as ever after 16 years» / «da sind wir wieder so schlimm dran wie eh und je nach 16 Jahren» (in der Übersetzung von Harald Beck mit Ruth Frehner und Ursula Zeller, die 2001 von der Zürcher James Joyce Stiftung unter dem Titel Ulysses Penelope erschien) – empfindet Fritz Senn einen leisen, lebendig machenden Rhythmus und Klang, der der implizierten Düsternis widerspricht. Achtung und Bewunderung für das Geheimnisvolle des alltäglichen Lebens. Ja, Trost können die Leser der Werke von James Joyce erleben – und vor allem Freude und immer wieder sogar Spaß!

Freude wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mit und ohne Joyce!
Von Herzen, Ihr

Jean-Claude Lin