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Bärbel Kempf-Luley

Mensch, Oma!

Nr 222 | Juni 2018

gelesen von Simone Lambert

Mensch, Oma!» – mit diesem forschen Ruf beginnen jeweils die Geschichten um die temperamentvolle Nora und ihre Oma.
Kapitelweise schildert Bärbel Kempf-Luley 25 Episoden, die sich ganz auf das Spiel zwischen Großmutter und Enkelin konzentrieren. Die Begegnungen zwischen der Lebenserfahrenen und dem Weltneuling sind ebenso an einfache, alltägliche Erlebnisse wie an die Feste gebunden. Es sind Geschichten, die dem Jahreslauf folgen: von sommerlichen Ausflügen bis Weihnachten sind die Anlässe breit gefächert.
Nora ist ein forderndes Kind von etwa drei bis vier Jahren. Sie weiß, was sie will und hat in der Regel überraschende Einfälle – nur in einem nicht: «immer nie» vergisst sie es, sich bei der Großmutter zu beklagen, wenn die nicht gleich mitzieht. Nora kann vielem etwas abgewinnen und sich gleichzeitig entschieden wehren. Oma hilft ihr dann über die Schwelle der Angst und Scheu: vor dem Elefanten im Flur oder dem Nikolaus. Mitunter gibt sich die Große selbst als hilfsbedürftig aus, sodass die Kleine die
eigene Unsicherheit vergisst und der Oma beisteht. Wo kann man sich überwinden, wann muss man soziale Regeln einhalten? Die Oma entwickelt die Problemlösungen kreativ und aus der Situation heraus.
Noras Oma hat sich entschieden, nicht zu schimpfen oder zu strafen und vor allem, sich nicht zu verweigern. Ob sie im Garten der Nachbarn einen Schneemann bauen, damit Nora ihn von der Wohnung der Oma aus sehen kann, oder ob sie auf dem Gehsteig ein Picknick veranstalten, weil Nora der Weg in den Wald zu weit ist – die Oma geht mit. Doch manchmal geht es darum, bei der Sache zu bleiben und einen Plan zu Ende zu führen, dann setzt die Großmutter ihren Willen durch und lenkt so die Kleine.
Diese Oma ist durchaus auch unsicher, beklommen, verärgert, lustlos, müde, gekränkt oder genervt (der erwachsene Leser erkennt sich wieder), aber sie lässt sich von der kindlichen Freude am Spiel immer wieder anstecken. Und gerade wenn Nora mit der Nüchternheit von Kindern die Oma ertappt, die – sehr menschlich – mitunter ihre Gefühle und Motive hinter Argumenten verstecken will, finden im gemeinsamen Handeln liebevolle Begegnungen statt.
Diese Großmutter ist eine echte Begleiterin, die der kindlichen Entdeckerin auch und gerade dann folgt, wenn sie eigene Bedürfnisse preisgeben muss, und die sie zugleich schützt.
Mensch, Oma! versammelt heitere und inspirierende Vorlesegeschichten, an denen Kind und Erwachsener gleichermaßen Vergnügen finden werden. Zwischen Spiel und Realität entwickelt sich die Beziehung zwischen Oma und Enkelin, die beide mit viel Fantasie ihre gemeinsame Zeit gestalten. Die erzählerische Qualität der Geschichten dürfte für den erwachsenen Mit- und Vor­leser besonders reizvoll sein. Bärbel Kempf-Luley hat wahrhaftige Figuren geschaffen und beweist einen feinen Sinn für Humor, der noch der letzten Wendung der Geschichte folgt, wo diese bereits abgeschlossen scheint … Unbedingt empfohlen!