Doris Kleinau-Metzler

Kunst und Leben sind verzahnt

Nr 224 | August 2018

oder: «Plötzlich ist es Zeit zu beginnen»

Es steht ein buntes altes Haus in Maxen, einem kleinen Dorf hoch über dem Müglitztal, wohl 20 Minuten von Dresden entfernt. Blau, Rot und Grün sind seine Farben.
In diesem ihrem Haus sitzt mir Ilona Krieg gegenüber, Künstlerin und Gestalterin des bunten Listhús (isländisch für Kunsthaus), das einen kunsthandwerklichen Laden und eine Galerie beherbergt (Foto in der Bildergalerie / Rotes Haus).
Bunt ist auch ihr Erscheinungsbild – der Hauptteil ihres Kleides besteht aus einem alten Handtuch aus der Zeit unserer Urgroßmütter mit einem gestickten Sinnspruch («Beklage nicht den Morgen, der Müh? und Arbeit gibt. Es ist so schön, zu sorgen für Menschen, die man liebt»), das Oberteil ist aus einem dünnen pastellfarbenen chinesischen Handtuch gefertigt, Massenware zu DDR-Zeiten, und der untere Teil des Kleides könnte noch vor Kurzem eine Jeans-Jacke gewesen sein.
Ich staune, lächle. Dieses Kleid ruft verschiedene Szenen in mir auf: die Generationen vor uns, in denen die Hausfrauenrolle ein moralisches Muss war, dann die hier nicht so ferne politische Vergangenheit und zuletzt Jeans, denen unsere heutige modische Vorliebe gilt. Ilona Krieg schmunzelt. «Ja, das ist mein Prinzip, das Verknüpfen. Auch eine Art von Nachhaltigkeit. Ich werfe nichts weg, sondern sammle und mache Neues daraus.»
Alte Stoffe und Dinge, auf Flohmärkten und in der Natur Gefundenes, Gesammeltes – geordnet und gehütet – sind oft Grundlage ihres künstlerischen Gestaltens. Für sie ist es kein neutrales Material, sondern Sinnbild einer konkreten Geschichte, die sie mit der Neuverwendung würdigt. Diese Handarbeitswunder nennt sie «kleine Kunst», «wider das Vergessen, für die Freude des Tragens, Anschauens, Fühlens». Ihre mitunter auch großformatigen künstlerischen Arbeiten sind gemalte Acryl-Lack-Objekte, manche gepolstert, sowie thematisch oft zusammen­hängende Installationen und Collagen. Ein Foto ihres Stoffobjekts «Wattwurm» aus ihrem Kunstkatalog Alle meine Tiere lässt mit seinen schimmernden Farbtönen und Biegungen Assoziationen entstehen. Wie Malen mit Stoffen. – Aber Ilona Krieg sammelt auch Worte. Kaum 50 Meter neben ihrem Listhús stehen in einem kleinen, vermoosten Vorgarten eines alten Hauses auf einem alten Türblatt die folgenden Worte: DEMUT | HUMOR | MÄSSIGUNG | ACHTSAMKEIT | GEDULD | STAUNEN | DANKBARKEIT | WIDERSTAND | HOFFNUNG (siehe auch das Foto in der Bildergalerie)

Das «Brunnenhaus» dahinter erscheint wie ein verwunschenes, träumendes Haus aus einer längst vergangenen Zeit und überrascht mich beim ersten Gang durch das Dorf. Mauerwerk und kleine Fenster zeugen von seiner langen Geschichte, doch auf seine alten Tage ist es mit rot strahlenden Fensterrahmen samt gehäkelten Spitzengardinen wie schmuck gemacht. Früher einmal wurde es von Caspar David Friedrich, der wie andere Künstler Mitte des 19. Jahrhunderts im Schloss zu Gast war, gemalt. Den Brunnen im Keller gibt es noch, doch keinen Strom und kein fließendes Wasser. Das Haus wurde baufällig, sollte abgerissen werden, aber Ilona Krieg und Peter Reindl, ihr Partner, der in Maxen den Kunsthof betreibt, kauften es und richteten es so her, dass kleine Gruppen durch dieses Haus geführt und in eine andere Zeit versetzt werden können. Kleine Türen, niedrige Räume, «die uns anstoßend daran erinnern, was ein Haus für uns Menschen ist ? mehr als ein Stapel Steine, ein paar Fenster, eine Tür und ein Dach. So wie ein Apfel mehr ist als die Summe seiner Nährstoffe», sagte Ilona Krieg zur Eröffnung. «Wir entfernen uns immer mehr von der Erde, verlieren unsere Wurzeln. Wir bauen höher, gewinnen Aussicht und Übersicht und verlieren den Boden unter den Füßen. Auch daran soll unser liebes Brunnenhaus erinnern, an die Erdverbundenheit. Es hat keinen wirtschaftlichen Nutzen. Es darf einfach so sein und bleiben, wie es durch die Jahrhunderte geworden ist.» Das Haus erhält sein Gnadenbrot, gibt dem zu schauen und zu denken, der stehen bleibt. –?Man muss sich bücken, wenn man in das Brunnenhaus eintritt. «Mit geneigtem Kopf, mit Demut muss man eintreten. Heute wollen alle schnell durchdüsen können.» Der Kopf läuft voran, denke ich als jemand, der öfter stolpert und sich anstößt.
Dieses heute kaum noch gebräuchliche Wort «Demut», was meint Ilona Krieg damit? «Ja, manchmal muss jeder seinen Kopf her­unternehmen, um durch eine niedrige Tür zu gehen. Es gibt etwas Höheres als mich selbst, und wir sind nicht das Maß aller Dinge als Menschen. Man kann eine andere Sicht auf die Welt einnehmen ? es gibt ein Universum, ich bin irgendwo eingebettet und bin verbunden mit allen Menschen, Tieren und Pflanzen. Nein, ich habe keine Religions­vorstellung. Das ist eben einfach das Gefühl dafür.»

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Ganz handfest verbunden ist Ilona Krieg neben Maxen mit zwei weiteren Orten: Ihr großstädtischer Wirkungsort liegt südlich vor den Toren von Hamburg, in Rosengarten, mit Atelier und Wohnung. Vor über 20 Jahren begann von hier aus auch ihr Hingezogen-sein zu Pellworm, und an den Wochenenden pendelte sie mit Peter Reindl und dem gemeinsamen Sohn zur nordfriesischen Insel; eine kleine Galerie und Ferienwohnungen entstanden.
Eigentlich gehört auch Island dazu, das sie seit dem ersten Besuch vor Jahren als «mein Land» bezeichnet – die Landschaft, die Menschen, die Sprache (die sie lernt).

In ihrem poetischen Tagebuch zu Island schreibt sie das Haiku

Steine so trollig
Eng geduckt und moosverschlungen
Natur ist Nähe


Aufgewachsen ist Ilona Krieg in engem Kontakt mit den Großeltern, in räumlicher Begrenztheit in Hagen/Westfalen. Mit Eltern, die ihr und ihrer Schwester Raum für Eigenes ließen. Sinn für Kunst hatte sie, auch Mathematik und Germanistik interessierten sie.
Es war eine Zeit, in der Frauen nicht alle Türen weit offen standen; sie entschied sich für das Studium der Ernährungswissenschaften in Bonn. «Es war gut, wie es war», sagt sie im Rückblick. In die Anfangszeit des Studiums fällt ein Erlebnis, das sie bis heute prägt: «Im Biologiebereich mussten wir als Studenten eine Ratte chloroformieren und aufschneiden. Das haben wir auch gemacht ? einfach ein Tier getötet, nur um irgendeine Innerei zu zeigen. Es hatte überhaupt keinen Sinn, alles hätte man auch anders zeigen können.» Seit einigen Jahren engagiert sie sich mit der Lobby-pro-Tier gegen Tierver­suche und beteiligt sich an Mahnwachen vor einem der größten Auftragslabore, dem LPT-Versuchslabor in Hamburg-Neugraben – «gegen grausame und unnötige Tierversuche, um der Lobby der Pharmaindustrie und auch den vielen überflüssigen Standardversuchen an Tieren etwas entgegenzusetzen».

Nach dem Studium promovierte Ilona Krieg im Bereich Agrarpolitik und Agrar­soziologie. Neben ihrer Arbeit als Ernährungswissenschaftlerin malt und näht sie kreativ. Mit dem Besuch von Kunstkursen in Hamburg (bei denen sie Peter Reindl kennen­lernt) erschließt sich ihr «diese andere Welt» – sie wird Seiteneinsteigerin in die Kunst. Zu ihrer Kunst des Selbst- und Lebens­ausdrucks gehören auch eine Clown-Ausbildung und der japanischen Ausdruckstanz Butoh.
Den Teilnehmern an der Ausstellung Ostrale in Dresden wurden drei Fragen gestellt, eine davon war: Was würdest du auf der Welt verändern? Ilona Krieg: «Ich würde allen Menschen Herzensbildung vermitteln, damit jeder erkennt, welche positive Kraft für Veränderungen in den eigenen Gedanken steckt.»
Sie schreibt wirklich von der Kraft der «eigenen Gedanken». Sie staunt, dass es mir als etwas Besonderes auffällt. «Ich übernehme nicht fremde Gedanken. Ich denke für mich und sage nicht: Das macht man so, also mache ich das dann. Sicherlich unterstütze und nutze ich auch etwas von anderen Menschen Erkanntes. Aber: Ich denke für mich. Ich entscheide, was ich denke.»
Denkweise, Wirkungsarten und Sehnsuchtsorte, für Ilona Krieg fallen sie in eins. Dazu gehören auch kleine Alltagsgesten wie abends sich erinnern an etwas, das an dem vergangenen Tag gut war («und sei es der Parkplatz, den ich gefunden habe»). Wer sucht, findet meist nicht genau das Gewünschte. Aber er kann auf- und annehmen, was sich wie von selbst bietet. Drei Hals­objekte aus dem Listhús, Steine vom Wandern in der schönen Umgebung und den Anstoß: Nicht an Gewohntem orientieren, nicht das Perfekte suchen, Sehnsuchts-Orte zu Wirkungsorten machen. Und dann …