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Daniela Drescher

Giesbert in der Regentonne

Nr 224 | August 2018

gelesen von Simone Lambert

Giesbert ist ein Regenrinnenwicht, der bei einem Wolkenbruch in das Regenfass des Erzählers oder der Erzählerin schwappt.
In 15 kurzen Kapiteln lernen wir den liebens­werten Winzling mit der Kapuzinerkresseblattmütze und der grünen Trägerhose kennen – und mit ihm den Garten und seine Bewohner.
Giesbert spielt Flöte, dichtet kleine Verse und ist guter Dinge. Manchmal auch nicht, dann läuft das Wasser in der Tonne nicht nur über, sondern sprüht sogar Fon­tänen! Giesbert ist ein manchmal unge­stümer, aber stets gutmütiger und hilfsbe­reiter kleiner Kerl. Einmal ist er so übereifrig, dass er beim Gießen des Beets das Mäusenest flutet. In aller Eile schaufelt er die Mäusewohnung aber frei und rettet die Kleinen.
Giesbert ist kontaktfreudig und von gesunder Neugier. Im Garten trifft er auf Kleintiere wie Rotkehlchen, Igel, Eichhörnchen und natürlich Kater Munz – die Autorität im Garten –, den Giesbert ein klein wenig fürchtet. Die lahme Schnecke, die sich ziert, kann Giesbert mit Radieschen aus ihrem Häuschen locken. Ein anderes Mal tröstet ihn Igel Erich, als Giesbert unglücklich in die Elfe Gisela verliebt ist. Manchmal verirren sich auch nomadische Tiere in den Garten: die Laufente zum Beispiel, die ihn mit ihrem Hochmut verunsichert. Oder der Waschbär, ein Aufschneider, der aber viel zu erzählen hat. Giesbert räumt anschließend für den neuen Freund das Durchein­ander im Garten auf. Und einmal kommt sogar ein Eisbär vorbei! Aber den hat Giesbert wohl nur geträumt.
Der Winzling in der Tonne trifft auf eine Vielzahl verschiedener Charaktere – nicht nur unter den Tieren, sondern auch bei den Pflanzenwichten und den Elfen, die wie er selbst dem kleinen Volk angehören. Im Kosmos des Gartens lernt Giesbert die Welt kennen und versteht, wie Miteinander, ja, wie Menschlichkeit funktioniert: Niemand wird hier zurückgelassen oder ausgegrenzt. Konflikte und Probleme finden eine auch für die kleinen Leser gut verständliche, konstruktive Lösung. Der Garten ist ein geschützter, harmonischer Ort, der als Zusammenhang funktioniert. Leicht ist das Leben hier, leicht und schön.
Dieser Garten erscheint magisch, nicht nur wegen der Naturwesen, die darin wohnen. Die Aquarellillustrationen zeigen das für Daniela Dreschers Bilder typische atmosphärische Leuchten – grün, gelb, blau – als würde die Künstlerin den Äther abbilden, der alles durchdringt und verbindet.
Die fantastische Lebenswelt des kleinen Volks und die des Erzählenden überschneiden und verbinden sich. Dies verleiht auch dem kleinen Volk einen Realitätsgehalt. Die genaue Beobachtung der Natur – Licht, das durchs Laub scheint, Schattenspiele, die Tiere, die Stimmungen der Tages- und der Jahreszeiten – verschafft dem Kleinen große Bedeutung. Auch die an Ausdrücken reiche Sprache macht auf die Details und damit auf die sinnliche Fülle der Erlebnisse aufmerksam.
Daniela Drescher hat das Bilderbuch einmal eine Möglichkeit genannt, «auf humorvolle und ehrliche Art und Weise an die Welt heranzuführen … Es öffnet Räume, in denen es der Seele erlaubt ist, sich in ihrem Reichtum kennenzulernen. Räume, die in der Gegenwart eher karg bemessen sind.» – Das ist ihr auch in diesem Vorlesebuch wieder gelungen. Denn in all ihrem Zauber sind die Geschichten um Giesbert erstaunlich wahr. Herzlich empfohlen.