Patrick McGrath

Immer wieder

Nr 228 | Dezember 2018

Von Mosley in den 1930ern zur Gewalt in Charlottesville: der Hasskult lebt weiter

1934 nannte die «Daily Mail» Oswald Mosley, den Gründer der «British Union of Fascists» (BUF), die «politische Spitzenpersönlichkeit in Großbritannien». Die BUF erlebte damals eine Welle öffentlicher Begeisterung, und die Anzahl ihrer Mitglieder belief sich auf nahezu 34.000. Schwarzhemden marschierten durch britische Städte und Großstädte, und neue Rekruten wurden ermuntert, sich einfach anzuschließen. Zu dieser Zeit war die Arbeits­losigkeit in Großbritannien, besonders im Norden, hoch, und seine Anziehungskraft verdankte Mosley zum Teil dem Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen. Als charismatischer Größenwahnsinniger mit gewaltigem Vermögen war er überzeugt, zum Herrschen bestimmt zu sein, außerdem erhielt Mosley Rückhalt von den Mittelklasse-Tories. Sie teilten seinen vielgepriesenen Rassenstolz, die Liebe für sein Land, öffent­liche Ordnung, Redefreiheit und «englische Methoden».
Juden waren zur BUF nicht zugelassen, aber Mosley war damals kein fanatischer Antisemit. Er sagte, Nationalstolz benötige keinen «Rassenwahn». Aber er merkte bald, dass eine Bewegung einen Sündenbock benötigt und dass Juden sich dazu eigneten. Er sagte dies einmal zu Lord Sieff von Marks and Spencer, und zwar bei Sieff zu Hause, und sah sich zu seiner Verblüffung unver­züglich vor die Tür gesetzt. In der Zwischenzeit gingen die BUF-Märsche, Versammlungen und Gewalttaten auf den Straßen unvermindert weiter, und Mosley hegte die Hoffnung, dass das politische Chaos irgendwann zu einer Krise führen und ihn an die Macht spülen würde.

So war es in Italien passiert und vor allem in Deutschland. Mosley hatte in die Familie Mitford eingeheiratet, und einige der Mitfords standen auf bestem Fuß mit ranghohen Nazis in Hitlers Führungskreis. Der Führer war bei Mosleys Hochzeit mit Diana Mitford 1936 in Berlin anwesend und die nazifreundlichste der Mitford-Schwestern, Unity, ebenso.
Seit einiger Zeit ist es offenkundig, dass ein gewaltbereites Element der amerikanischen Ultrarechten sich eng mit dem europäischen Faschismus der 1930er Jahre identifiziert. Diese Neo-Nazis wiederholen die Slogans und machen sich die Ansichten zu eigen. Sie sind extreme Nationalisten. Sie sind antisemitisch, islamfeindlich und rassistisch. – Der Volksverhetzer ist für jegliche faschistische Bewegung unverzichtbar, wenn seine Mitglieder angefeuert und fest bei der Stange gehalten werden sollen, wenn es darum geht, durch die Straßen zu ziehen und Blut zu vergießen. Faschismus entsteht nicht aus rationalen Quellen. Er benötigt keine rationalen Argumente, um seine Anhänger zu bestätigen. Faschisten sind Vernunft gegenüber taub. Es ist die Rolle des Volksverhetzers, die Wut gegenüber dem Sündenbock zu wecken und zu schüren, meist geht es gegen das Fremde in Form einer anderen Rasse.

Das war in Charlottesville, USA, offensichtlich, und der Volksverhetzer, der die mörderische Wut anfheizte und später entschuldigte, war Donald Trump. Trump hält immer noch an einem Staatsamt fest. Mosley dagegen sah seine Bewegung schlappmachen und ver­sagen. Obwohl er weitaus intelligenter war als Trump und sich einer weit höheren Qualität politischer Raffinesse bediente, wurde er nicht auf einer Welle gewalttätigen Durch­einanders an die Macht geschwemmt, wie er gehofft hatte. Stattdessen wurde er 1939, als der Krieg mit Deutschland erklärt wurde, ins Gefängnis gesteckt, zusammen mit einigen seiner Anhänger.
Das war natürlich noch nicht das Ende. Faschismus gehört zu jenen Kreaturen, die, wenn man ihnen einen Kopf abschlägt, sogleich einen neuen hervorbringen. Heute erinnert sich kaum jemand daran, dass am Ende des Krieges, als deutsche Städte am Boden lagen, Hitler tot und der Nazismus scheinbar zerstört war, Mosley und seine Männer aus dem Gefängnis entlassen wurden. Unbeirrt und reuelos schlossen sie sofort an das an, was sie vor dem Krieg getan hatten.
Sie marschierten durch das East End von London, wo sie vormals ihre Haupt­unterstützer in der Arbeiterklasse gefunden hatten, ebenso wie ihren auserkorenen Feind, die Juden. Sie hielten öffentliche Versammlungen und Reden ab und verkündeten laut und deutlich, dass Hitler nicht nur rechtgehabt habe, sondern dass er nicht weit genug gegangen sei und die «Arbeit» unerledigt hinterlassen habe. Jüdische Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehrten, waren zunächst verblüfft, dann empört, entdecken zu müssen, dass das, wogegen sie gekämpft hatten, in ihrer eigenen Umgebung wieder aufblühte.
Sie fanden Hakenkreuze auf die Wände von Bethnal Green, Stoke Newington, Maida Vale, Kilburn und andernorts geschmiert. Sie schlugen zurück.

Die «Gruppe 43» wurde Anfang 1946 gegründet. Sie bestand zunächst aus robusten, durchtrainierten anglo-jüdischen ehemaligen Soldaten. Diese Männer machten sich daran, die öffentlichen Versammlungen der wiederauflebenden faschistischen Bewegung zu zerschlagen. Sie infiltrierten sie mit großem persönlichem Risiko, um Informationen zu sammeln – die Pläne ihrer Feinde zu kennen, um sie so zu sabotieren. Sie bekämpften die Faschisten auf den Straßen der britischen Städte und fanden immer größeren Zuspruch. Sie waren diszipliniert, prinzipientreu und beherrscht. Sie waren taktisch höchst effektiv und zögerten nicht, Brachialgewalt anzuwenden, wo erforderlich. 1949 war die faschistische Bewegung erfolgreich niedergekämpft worden. Mosley war nach Frankreich gezogen.
Vieles davon berichtet ein Gründungsmitglied der «Gruppe 43», Morris Beckman, in einem außerordentlichen Buch: The 43 Group: Antifaschistischer Kampf in Großbritannien 1946 – 1950 (so der deutsche Titel). Es ist die Geschichte eines heroischen Widerstands, und zugleich eine Art heimliche Geschichte dieser doch sehr undurchsichtigen Periode. Ich habe vieles aus Beckmans Bericht über diesen Widerstand in mein neues Buch Die Gewandmeisterin einfließen lassen. Es ist ein Roman über ein Londoner Theater zu jener Zeit und über das gleichzeitige Wiederaufleben des Faschismus in Großbritannien. Der Faschismus verliert zeitweise an Kraft, aber er stirbt nicht. Wann immer er seinen Kopf erhebt, wie Beckman und seine Freunde wussten und wie es die Demonstranten in Charlottesville verstanden, muss Widerstand geleistet werden. Sein Kopf muss abgeschlagen werden, immer wieder aufs Neue.