Walther Streffer

Lernen und Spielen

Nr 229 | Januar 2019

In den folgenden Monaten werden in dieser Rubrik Beiträge erscheinen, die von klugen Tieren handeln – und zwar vorrangig unter dem Aspekt, dass intelligente Individuen eine besondere Bedeutung für die Evolution haben. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Intelligenz im Tierreich beginne ich mit dem Lernen und Spielen der Tiere.

Wir bestaunen immer wieder das weisheitsvolle Verhalten der Tiere, zum Beispiel den komplexen Ablauf in einem Bienenstock oder die Kunstfertigkeit, mit der zahlreiche Vögel ihre Nester bauen. Über diese angeborenen Fähigkeiten hinaus lernen Jungtiere viel beim Nahrungserwerb und im Bereich des Sozialverhaltens. Lernen ist bei den höheren Wirbeltieren weit ausgebildet, selbst die jungen Singvogelmännchen müssen ihre Gesänge erlernen. Generell kann gesagt werden, dass im Zusammenhang mit dem Lernverhalten dem Spielen eine besondere Bedeutung zukommt.
Spiel ist Ausdruck schöpferischer Kräfte. Es vermittelt etwas Freiheitliches und offenbart den ausgeprägten Bewegungsdrang von Jungtieren. Spielende Tierkinder zeigen ein gesteigertes Interesse an ihrer Umwelt, das sich in einem starken Neugierverhalten ausdrückt. Jungtiere antworten zum Teil mit außerordentlicher Beweglichkeit auf Umweltreize und sind entsprechend flexibel, sich neuen Gegebenheiten anzupassen. Spielen geht einher mit gesteigerter Lernfähigkeit; es versetzt Jungtiere in die Lage, mit ihrem Bewegungskönnen zu experimentieren und sich dialogisch mit der Umwelt auseinanderzu­setzen. Junge Gämsen, Dachse und junge Bären wurden etwa beim Rodeln beobachtet:
Sie rutschten einen verschneiten Abhang herunter und liefen immer wieder hoch, um das Vergnügen zu wiederholen. Dohlen setzten sich auf Außenspiegel von Autos und ließen sich durch die Gegend fahren. Eine Nebelkrähe wurde gefilmt, wie sie auf dem Deckel einer Dose ein mit Schnee bedecktes Schrägdach wiederholt herunterrutschte. Raben­vögel spielen mehr als andere Vogel­arten; besonders die Flugspiele sind berühmt. Auch Papageien gelten als sehr verspielt, insbesondere die neuseeländischen Keas; ungewöhnliche Dinge werden sofort untersucht.
Bedeutsam sind auch Bewegungsspiele und das spielerische Experimentieren mit Objekten, etwa mit Steinen, Zweigen, Knochen oder Federn. Von Delfinen wurde bekannt, dass sie durch Ausblasen der Atemluft Luftringe im Wasser entstehen ließen, um dann mit diesen zu spielen. Später gelang es ihnen sogar, spiralig gedrehte Luftbänder zu erzeugen.
Wenn wir dem wilden Treiben von jungen Hunden, Katzen, Füchsen oder Wölfen zuschauen, so berührt uns das meistens tief. Diese Tierkinder spielen mit ihren Glied­maßen und lernen sich geschickt zu bewegen; sie lernen schnell zu reagieren und vollführen teils akrobatische Bewegungen. So lernen sie ihren eigenen Körper, sich selbst und auch die Artgenossen kennen. Es lässt sich feststellen, dass bei dem spielerischen Jagen die Flucht- und Angriffshandlungen in der Regel mit wechselnden Rollen gespielt werden: Der Jäger kann so auch zum Gejagten werden. Zudem halten sich kräftige oder dominante Spielpartner oft zurück, wie um das Spiel fair zu gestalten bzw. damit es länger andauern kann. Bei derartigen Scheinkämpfen schützt eine angeborene Beißhemmung die Jungtiere vor Verletzungen, und Katzenkinder halten stets ihre Krallen zurück.
Die Tiere zeigen uns Verhaltensweisen, die zum Schein ausgeführt werden, das heißt, sie können – ähnlich wie kleine Kinder – Realität und Spiel unterscheiden. Hier deuten sich bereits kognitive Fähigkeiten an.