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Birte Müller

Innere Ordnung

Nr 230 | Februar 2019

Während um mich herum die meisten Menschen Entrümpelung zu ihrer neuen Religion erklären, sammle ich Kerzenstummel und fühle mich gut dabei.
Zugegeben, Unordnung ist ein echtes Problem von mir, aber das hat eigentlich nichts mit dem Aufbewahren von Stoffresten und Marmeladengläsern zu tun.
Lange habe ich mich wie ein schlechter Mensch gefühlt, weil ich das Sammeln liebe und nicht das Wegwerfen – und somit mit meiner Persönlichkeitsentwicklung anscheinend noch nicht einmal begonnen habe. Aber über die Jahre habe ich beobachtet, dass für viele Menschen das ständige Wegschmeißen brauchbarer Dinge eigentlich nur Platz schafft für mehr neuen Konsum. Trotzdem habe auch ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt – allein schon meinem Mann zuliebe. Und die Devise, sich jedes Teil vorzunehmen und sich von allem zu trennen, was einen nicht glücklich macht, leuchtet mir tatsächlich ein. Doch wenn ich die Schranktüren öffne, die Matthias mir vor unsere große Abseite gebaut hat, blicke ich in ein gigantisches Material-Sammelsurium – und das macht mich glücklich.
Im Prinzip ist es dort auch nicht un­ordentlich, denn die leeren Alu-Schälchen von Teelichtern haben genauso ihren Platz wie die Raketenspitzen, die unsere Tochter Olivia in den letzten Jahren an Neujahr gesammelt hat. Wenn ich aber meinen Computerarbeitsplatz anschaue, der in einem Berg aus Notizen, Briefen und Zeitschriften versinkt, dann muss ich laut stöhnen. Zu gerne würde ich das alles einfach wegwerfen, denn das macht mich ganz und gar nicht glücklich – im Gegenteil! Aber in jedem einzelnen Teil verbirgt sich Arbeit, die leider getan werden muss: lesen, abheften, beantworten, korrigieren usw. Dafür brauche ich SO VIEL ZEIT! Also lasse ich wieder das meiste liegen, nachdem ich das dringendste Tagesgeschäft erledigt habe, und schaue in meinen Schrank.
Letzte Woche habe ich eine ganze Tüte alter Kerzen von jemandem bekommen, der gerade seine Wohnung aus­gemistet und nach den Weihnachtstagen reichlich Restkerzen zu bieten hatte. Aus der Abseite hole ich alle anderen Wachsreste und die hohen Würstchendosen, die ich aufbewahrt habe. Kerzenziehen, Schicht für Schicht, braucht viel Zeit und ist für mich die reinste Entspannung, meine Gedanken wandern weit, weit weg von meinem Schreibtisch. So finde ich wenigstens innere Ordnung.

Kerzen ziehen
Ich schmelze das Wachs in den Dosen im Wasserbad nach Farben sortiert. Um richtig starke Farben zu bekommen, kann man es mit Resten von alten Wachsmalstiften ein­färben. Die Dochtreste von den kaputten Kerzen kann man leicht aus dem flüssigen Wachs fischen. Den neuen Docht habe ich mit einer Wäscheklammer an einem Stäbchen befestigt, sodass ich ihn zum Abkühlen über einen hohen Topf hängen kann. Am besten nimmt man dafür alte Töpfe, die man nicht mehr zum Kochen braucht.
Übrigens: Eine Kerze muss etwas lagern, bevor sie gut brennt. Wer es eilig hat, kann sie auch ein paar Stunden in den Kühlschrank legen.