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Astrid Frank

Von der Sicherheit der Unsicherheit

Nr 232 | April 2019

«Es gibt keine Sicherheit, nur verschiedene Grade der Unsicherheit», konstatierte schon der russische Schriftsteller Anton Tschechow. Dieser Feststellung würde «Uli Unsichtbar» ohne Zögern zustimmen. Denn er braucht – wie wohl die meisten Kinder im Grundschulalter – ein möglichst großes Maß an Sicherheit. Deshalb mag Uli auch besonders gerne Zahlen, denn «Zahlen sind zuverlässig».
Ein ziemlich hoher Grad an Unsicherheit besteht jedoch, als sich Uli nach einem Umzug seinen neuen Klassenkameraden vorstellen muss: Vor lauter Aufregung kommt statt seines Namens nur ein gestottertes «U-U-Uhu» aus seinem Mund. – Klar, dass alle über ihn lachen und ihn fortan nur noch den «U-U-Uhu» nennen.
Aber warum lachen wir eigentlich, wenn anderen Menschen ein Missgeschick passiert? Was spielt sich dabei in unseren Gehirnen ab? In der Psychologie gilt Schadenfreude als eine Erscheinungsform der Aggres­sion. «Der schlechteste Zug in der menschlichen Natur bleibt aber die Schadenfreude, da sie der Grausamkeit enge verwandt ist», wusste bereits Arthur Schopenhauer.
Sehen wir einen Menschen an einer Aufgabe scheitern, wird unser eigener Erfolgsdruck gemindert. Ein mögliches Ver­sagen wiegt weniger schwer, wenn man nicht der einzige «Versager» bleibt. In einer Gruppe hat ausgelebte Schadenfreude laut dem Emotionsforscher Thomas Hülshoff darüber hinaus eine gruppenbindende Funktion. Gemeinsames Auslachen und Verspotten eines Außenseiters stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Und in den Gehirnen schadenfroher Probanden fanden Wissenschaftler eine erhöhte Aktivität im Belohnungszentrum!
Dabei ist ein «Missgeschick», ein «peinlicher Vorfall» jedem Menschen schon passiert. Und während wir das Lachen eigentlich mit einem positiven Gefühl assoziieren, führt das wiederholte Erlebnis, verhöhnt zu werden, unter Umständen sogar zu einer psychischen Störung, der sogenannten «Gelo­tophobie», also der Angst davor, von anderen ausgelacht zu werden.
Auch Uli spürt diese Angst und zieht sich sogar von seinen neuen Freunden Petra und Niki zurück. Er hat keine Lust mehr, mit ihnen zu spielen: «Was, wenn Petra und Niki U-U-Uhu zu ihm sagen? Wenn sie ihn auslachen?», fragt er sich und sitzt lieber allein in seinem Zimmer. Dabei ist Aus­lachen gerade im Kontext Schule eine der häufigsten Mobbinghandlungen! «Auslachklassen» nennen manche Pädagogen ein Gruppengefüge, in dem jeder Anlass, und sei er auch noch so unbedeutend, zur Häme genutzt wird.
Uli hat noch einmal Glück, als Ulrike ebenfalls neu in die Klasse kommt. Sie schafft es, sich gegen den Gruppendruck zu stellen, als sie ihren neuen Klassenkameraden deutlich macht, dass jeder Mensch Stärken und Schwächen besitzt und niemand das Recht hat, einen anderen zu erniedrigen, um sich selbst besser zu fühlen.
Ulrikes «Soll-Selbst», wie die Psychologie es nennt, funktioniert. Sie schafft es, für ihre eigenen Überzeugungen und Werte einzustehen. Und sie fühlt sich gut damit! Denn wenn wir unserem eigenen Ideal nicht entsprechen – zum Beispiel, wenn wir nötige Hilfe verweigern –, fühlen wir uns schuldig. So wie Petra und Niki in Ulis Geschichte, die erst durch Ulrike erkennen, dass ihr Freund ihre Unterstützung gebraucht hätte.
Geschichten wie die von Uli Unsichtbar können Kindern helfen, zu empathischen und couragierten Menschen heranzuwachsen, zu Menschen mit einem funktionierenden «Soll-Selbst», die ihrem eigenen Ideal ent­sprechen. Damit wir alle … weiterkommen.