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Birte Müller

Das Bastel-Gen

Nr 233 | Mai 2019

Als Eltern macht man sich immer bestimmte Vorstellungen darüber, wie das Leben mit einem Kind sein wird. Ich habe mir natürlich erträumt, mit meinen Kindern immer viel zu malen und zu basteln. Aber Kinder kommen mit ihrem ganz eigenen Plan in unser Leben.
Mein Sohn Willi ist mit seinen 11 Jahren durch seine Behinderung nicht in der Lage, etwas auszuschneiden oder Erkennbares zu malen. Allerdings ist auch denkbar, dass es vollkommen behinderungsunabhängig sein könnte, dass er absolut keinen Bock hat, mit mir zu basteln.
Umso mehr feiere ich es, dass meine Tochter genauso süchtig danach ist wie ich, sich kreativ auszudrücken und handwerklich tätig zu sein. Genauso wie ich – das bedeutet natürlich auch, dass sie ihren ganz eigenen Kopf hat. Oft, wenn ich zum Beispiel alles zum Filzen vorbereitet habe, verkündet sie, dass sie lieber etwas nähen möchte – und tut das dann auch. Ihre Werkstücke darf ich – selbst in kritischen Arbeitsphasen – schon seit Jahren nicht mehr berühren: Sie muss es selbst schaffen, den Knopf anzunähen, egal wie fummelig es ist. Ich merke dabei, dass ich dazu neige, anderen Menschen Dinge aus der Hand zu nehmen. Sicher, ich möchte nur helfen, aber als Kind habe ich mich auch lieber heimlich in die Werkstatt meines Vaters geschlichen. Ich wusste, dass auf die Frage «Hast du ein Stück Holz?» von ihm die Gegenfrage «Wofür brauchst du das denn?» gefolgt wäre und danach unweigerlich die Art Hilfe, die bedeutete, dass er die Sache fast ohne mich und in einer für mich unerreichbaren Perfektion erledigte. Er hat übrigens nie geschimpft, obwohl ich in seiner Werkstatt viel Dreck hinterlassen und so manches Werkzeug benutzt habe, das nicht gerade für Kinder gedacht ist. Er hat mich gut verstanden, denn er hat vielleicht sogar den größten Dickschädel von uns dreien. Und ich habe Verständnis für meine Tochter, die mir befiehlt, ihr Sockenmonster NICHT ZU BERÜHREN – AUF KEINEN FALL! Lieber bekommt sie einen kolossalen Wutanfall und zerstört alles, bevor ich mich einmischen darf. Sie hat eben auch ganz bestimmte Vor­stellungen vom Leben und von Monstern.


Sockenmonster
Hierfür braucht man nur Nadel und Faden, Knöpfe, etwas zum Ausstopfen, alte Handschuhe oder Socken – davon hat jeder unzählige und sich ständig vermehrende Exemplare – und Fantasie.

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