Margret Boysen im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Unsere Erde hat Fieber!

Nr 234 | Juni 2019

Irgendwie wird es schon nicht so schlimm sein, das mit dem Klimawandel. Man lebt doch ganz normal, versucht auch an die Umwelt zu denken. Die Klimawende ist weit weg, scheint irgendwie fantastisch. – So dachte ich. Doch je mehr ich mich in Vorbereitung des Gesprächs mit der Geologin und Buchautorin Margret Boysen vom «Potsdam-Institut für Klimafolgen­forschung» (PIK) mit dem Thema Klimawende befasste, auch meiner Skepsis nachging, umso mehr geriet mein «Eigentlich-nicht-so-schlimm» ins Wanken. Die nahe Zukunft der Menschen, meiner Kinder und Enkel auf einer außer Kontrolle geratenen Erdentwicklung … Fakt ist: 97 % der Klimaforscher sehen die Erwärmung der Erde als menschengemachte Wende mit katastrophalen Folgen. Wie ist das nachvollziehbar? Genau darin liegt die Aufgabe für Margret Boysen, die am PIK als Vermittlerin zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Kultur und Kunst tätig ist. Nur mit Wissen und Offenheit im Denken und Handeln können wir noch etwas ändern!

Doris Kleinau-Metzler | Liebe Margret Boysen, wie kamen Sie zur Geologie?
Margret Boysen | Eigentlich wollte ich das Schulsystem ändern, weil ich fand, dass es Neugier eher zerstört als fördert, und habe nach dem Abitur an einer alternativen Freien Schule in Frankreich gearbeitet. Während dieser Zeit besuchten wir eine meeresbio­logische Station in La Ciotat bei Marseille. Eines Abends kletterte ich auf einen großen Felsen hoch über dem Meer und lernte: Diese Felsformation besteht aus einem versteinerten, schräg gestellten Fluss. Das hat mich fasziniert, und ich begann mich zu fragen: Was ist eigentlich unter meinen Füßen? Was sind das für Steine, was haben sie für eine Geschichte? Es war wie eine Art positiver Schock, dass ich den Untergrund, auf dem ich laufe, als etwas Selbstverständ­liches hinnahm – aber nichts darüber wusste. Während des Studiums der Geologie gehörte die Entstehung der Erdatmosphäre zu meinen Lieblingsthemen, und nach einer wissenschaftsjournalistischen Zusatzausbildung kam ich zum PIK, das sich seit 1992 mit der Klimafolgenforschung beschäftigt.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Übers Wetter reden wir alle, Klima­änderung kennen wir von Urlaubsreisen. Aber wie entsteht unser Klima?
MB | Klimaaussagen beziehen sich auf Mittelwerte des Wetters über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren. Nach Ende der letzten Eiszeit vor 12000 Jahren ermöglichte eine Epoche großer Klimastabilität mit gemäßigten Temperaturen die Entwicklung unserer auf Landwirtschaft gegründeten Zivilisation. Durch die massive Verbrennung fossiler Energieträger ? insbesondere Erdöl und Kohle ? als Folge der industriellen Revolution findet jedoch seit dem 18. Jahrhundert eine un­natürliche Veränderung unseres Klimas statt. Der Kohlendioxid-Gehalt der Luft steigt, die Erde erwärmt sich. Mit weitreichenden Folgen, denn der vom Menschen verstärkte Treibhauseffekt verändert nun auch unser Wetter. Zum Beispiel auf der Nordhalbkugel: Wir haben die kalte Arktis und den heißen Äquator. Nach den Gesetzen der Thermo­dynamik versuchen die Luftmassen sich zu vermischen; dadurch entsteht Wind. Ein starkes Windband in 12 Kilometer Höhe ist der nördliche Jetstream, der von West nach Ost in Wellen um die Erde läuft. In diesen Wellen liegen die Hoch- und Tiefdruck­gebiete. Wenn jetzt ? infolge unserer Klimabeeinflussung ? der Temperaturunterschied zwischen dem Pol und dem Äquator kleiner wird, verändern sich die Wellenmuster und die Hoch- und Tiefdruckgebiete, zumal sich auch die Kontinente stärker aufheizen als die Ozeane. Dadurch leiert einerseits das Wellenband aus und bleibt andererseits eher an bestimmten geografischen Barrieren wie Gebirgen hängen. Deshalb häufen sich die hartnäckigen («blockierten») Wetterlagen – extreme Dürre / Hitze oder Überflutungen / Kälteeinbrüche. Diesen Zusammenhang erforscht das PIK seit dem Jahr 2000.

DKM | Woher wissen Klimaforscher genau, dass es ein menschengemachter Klimawandel ist?
MB | Tausende Wissenschaftler trugen zur Er­forschung des Erdklimas bei. Seit Jahrzehnten gibt es unzählige Studien, die auf weltweit erhobenen Messdaten beruhen. Aufgrund dieser Daten und der physikalischen Gesetze werden aufwendige Computermodelle erstellt. Durch die weltweite Zusammenarbeit der Klimaforscher, wie etwa im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, wird das Wissen über den Klimawandel in umfassender, objektiver und transparenter Weise zusammengefasst. Alle Indizien deuten auf den Menschen hin. Zukünftige Entwicklungen können wir zwar nicht exakt voraussagen, doch mit wissenschaft­lichen Methoden das Risiko der globalen Erwärmung erkennen und abschätzen.

DKM | Aber sind gewisse Schwankungen nicht schon immer dagewesen?
MB | Bevor der Mensch am Horizont erschien, ja. Auch während der letzten drei Millionen Jahre schwankte die Erdmitteltemperatur um 3 oder 4 Grad. Das machte eben den Unterschied zwischen einer Eiszeit und einer Warmzeit aus. Wir leben seit 12000 Jahren dankenswerterweise in einer Warmzeit. Diese verwandeln wir nun möglicherweise in eine «Heißzeit» (das Wort des Jahres 2018 kam übrigens aus dem PIK). Viele Menschen verstehen nicht, worauf sich die Staatengemeinschaft im Pariser Klimaabkommen von 2015 geeinigt hat, weil sie diese Temperatursprache nicht verstehen. Aber es ist ein Unterschied, ob sich die Erde um 2° oder um 4° erwärmt. Durch das zusätz­liche CO2 aus den letzten 120 Jahren haben wir die Durchschnittstemperatur der Erde bereits um 1° erhöht. Das ist so gefährlich wie beim Fieber: Mit 40° Fieber ist man krank, mit 42° stirbt man. Und wenn es in manchen Erd­regionen kälter und in anderen wärmer als ge­wöhnlich ist, ist das noch lange kein Zeichen für Entwarnung. Dem Mensch ginge es auch nicht gut, wenn man seine Füße in den Backofen und seinen Kopf in den Eisschrank steckte. Sicher freut man sich im Norden über mehr Sonnentage, aber die Folgen sind verheerend: Der Meeresspiegel steigt, die Ozeane versauern und erwärmen sich, sodass sich stärkere Hurrikane bilden können, um nur ein paar wenige Folgen zu nennen.

DKM | Was wird dagegen getan?
MB | Leider nicht genug! Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur ist der Energie­verbrauch der Welt 2018 um weitere 2,3 % gewachsen, der globale Ausstoß des Treibhausgases CO2 stieg auf eine neue Höhe. Das heißt: Der Ausbau von klima­neutralen Energiequellen muss massiv beschleunigt werden. Auch in den Bereichen Verkehr und Landwirtschaft steckt riesiger Handlungsbedarf. Und vergessen wir nicht: Die globale Erderwärmung ist nicht nur für alle ökologischen Krisen, sondern auch für Kriege und Migration ein Brandbeschleuniger.

DKM | Kann man überhaupt selbst noch etwas tun?
MB | Ja. Aber es reicht nicht, auf Selbstverpflichtung zu vertrauen. Deshalb brauchen wir die gesetzliche Unterstützung aus der Politik. Sie muss Vorgaben machen und Prioritäten setzen, die uns den Klimazielen entscheidend näherbringen, um uns Menschen vor dem kollektiven Suizid zu schützen. Die Welt geht ja nicht aus Bosheit zugrunde, sondern weil es so kompliziert ist, ein Umweltengel zu werden. Und natürlich weil Öl das Getriebe der bestehenden Weltwirtschaft schmiert – mit der Folge, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Konkrete Maßnahmen für den Einzelnen (um die Zeit zu überbrücken, in der unser Problem noch mit fossilen Brenn­stoffen befeuert wird), sind zum Beispiel: den Strom­anbieter zu wechseln, Geldanlagen zu hinter­fragen, Flugreisen zu reduzieren, nicht auf Kreuzfahrt zu gehen, weniger zu kaufen, Kreislaufwirtschaft zu fördern und vieles andere mehr. In den Parlamenten bräuchten wir eigentlich für die nach uns Geborenen Ombudspersonen, die bei allem, was Aus­wirkungen auf ihre Zukunft hat, angehört werden. Und das Wahlrechtalter sollte herabgesetzt werden. Schließlich sind Jugendliche ab 14 auch schon strafmündig. Dann sollten sie auch mehr Rechte haben, besonders wenn es um ihre Zukunft geht. Ich finde es unfair, ausgerechnet die Schüler zu fragen, was denn ihr Beitrag zum Umweltschutz sei. Den größten Klimafußabdruck haben schließlich die älteren Reichen.

DKM | Was wollen Sie mit Ihrem Buch Alice, der Klimawandel und die Katze Zeta erreichen?
MB | Ich denke, es ist gut, Umwelttrauer in positive Energie umzuwandeln. Wir sind seelisch und geistig oft überfordert durch die Globalisierung, davon, dass wir jederzeit über alle Katastrophen und Problemlagen der Welt informiert werden. Und auch durch unsere Mitschuld. Eine Folge davon kann Rückzug ins Private, also Verdrängung, sein. Ich will dem mit meinem Buch entgegenwirken. Es gibt nichts zu verdrängen, es gibt eine Menge zu ändern. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Vorstellung, was möglich ist, mit anderen Menschen, insbesondere den Kreativen, weiterzuentwickeln. Es könnte beispielsweise eine Signalwirkung haben, wenn bekannte Modelabels klimagerechte, plastikfreie Kleidung anbieten würden. Über all diese Möglichkeiten sollten wir mitein­ander sprechen! Wir brauchen alle – die ganze Gesellschaft –, um die besten Maßnahmen gegen den Klima­wandel umzusetzen.